Traumfragmente

17 Kurzgeschichten von Peter Hohmann (Fantasy und Mystery)

17 Geschichten aus der Feder von Peter Hohmann – eine spannende und bunte Mischung, die für Liebhaber phantastischer Literatur viel Abwechslung bereithält.

Begleiten Sie Drachen auf ihrem letzten Flug, verfolgen Sie Geister aus den Niederungen dunkler Folklore, erleben Sie Helden und Bösewichte, einen übermotivierten Goblin, eine von sonderbaren Zwergen betriebene Maschine zum Bierbrauen und vieles mehr.

So verschiedenartig die Phantastik ist, so verschiedenartig sind auch diese Geschichten.

LESEPROBE

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AUF NACH NURATHYS (Teil der ersten Geschichte der Sammlung):

Magie ist ein elementarer Bestandteil vieler Fantasy-Erzählungen. Auch hier geht es um das Wirken von Zaubern und der damit verbundenen Macht. Die Idee dazu kam mir nach ein paar Runden des Kartenspiels „Magic: The Gathering“.

König Arkos griff nach Pergamenten, die er schon fast auswendig kannte, und schob sie auf dem Tisch hin und her; einen Stapel von links nach rechts, dann wieder zurück, der nächste in die Mitte, ein weiterer an den Rand. Fast wie das Aufstellen von Truppen vor der Schlacht
Am liebsten wäre er aufgesprungen und in seinem Audienzzimmer auf- und abmarschiert. Er konnte besser denken, wenn er in Bewegung war – aber erstens wollte er nicht, dass die Gäste, die er erwartete, ihm seine Aufregung anmerkten, und zweitens gab es streng genommen auch überhaupt nichts mehr, über das nachgedacht werden konnte, denn die Vorbereitungen für den Feldzug gegen Nurathys waren abgeschlossen.
Lediglich die Frage, welcher Magier ihn begleiten würde, stand offen. Allerdings würde sich dies in Bälde und hoffentlich auf höchst dramatische Weise klären.
So vertrieb er sich die Warterei damit, seine Kriegstrophäen mit Blicken zu liebkosen: Direkt über dem Eingang hing der Kopf eines Greifs, das Wappentier des Staates Palir, dessen Truppen er vor vier Götterläufen vernichtend geschlagen hatte. Von deren Tributzahlungen hatte er die Schlacht auf den Samtwiesen vor den Toren Xanderas finanziert. Das Banner der Stadt – zwei Bäume, über denen sich ein Regenbogen spannte -, befand sich an der linken Wand neben dem Schwert von König Madrik. Dieser alte Narr hatte tatsächlich gemeint, ihn, Arkos, Herrscher von Arûbir, im Zweikampf besiegen zu können. Lächerlich!
Er schnalzte mit der Zunge, als sein Leibgedächtnis seinen rechten Arm zucken ließ in Nachahmung des Hiebs, der Madrik niedergestreckt hatte.
All diese Errungenschaften jedoch verblassten gegen Nurathys, das Reich des sagenumwobenen Elfenvolkes. Seit Urzeiten stand alles und jeder im Schatten dieser eingebildeten, spitzohrigen Wortverdreher.
Das allerdings würde nun ein Ende haben!
Die vormaligen Kriege waren nur der Wetzstamm für seine Krallen gewesen. Jetzt galt es, diese in die Hälse der Elfen zu schlagen.
Es klopfte an der Tür.
Arkos atmete tief durch und wartete, bis er das Grinsen in seinem Gesicht gebändigt hatte. Eine Hand betont lässig auf die Lehne seines Stuhls gelegt, die andere am Schnurrbart, um träge daran zu zwirbeln, sagte er: „Ja?“
Die Tür schwang auf.
Herein trat Uranon, sein Leibmagier. Langsam schlurfte der alte Tattergreis zum Tisch und verneigte sich, gerade so tief, dass man es nicht als Beleidigung auslegen konnte.
Überhebliches Magierpack!
Wären die Elfen nicht Meister der arkanen Künste, die ein magisch ungeschütztes Heer ohne einen einzigen Schwertstreich auslöschen könnten, würde er auf diesen ganzen Zauberkram verzichten und die Entscheidung in einer offenen Feldschlacht suchen.
„Was ist Euer Begehr, mein König?“ Uranons Stimme hörte sich an, als zöge man einen Schleifstein über eine schartige Klinge.
Auch kein Wunder, dachte Arkos. Schließlich wehrt sich dieser Sack aus Haut und Knochen bereits seit zweihundert Jahren gegen den Tod.
„Wie geht es Euch, mein lieber Uranon?“
„Hier und da zwickt es ein wenig, mein König. Ansonsten aber fehlt mir nichts.“
Was für eine dreiste Lüge!
Arkos lachte in sich hinein. Uranon sah noch kränklicher aus als sonst: Seine Haut spannte über den spitzen Wangenknochen, und die trüben Augen schienen mit jeden Tag weiter in ihre Höhlen zu sinken.
„Das freut mich zu hören“, entgegnete Arkos übertrieben herzlich. „Denn Ihr werdet eine lange Reise vor Euch haben.“
Uranons Züge verkrampften sich. „Sofern nichts dagegen sprich, werde ich meinen Adepten Njalan mit dieser Aufgabe betrauen.“
„Wie schade. Denn ich hoffte beim Feldzug gegen Nurathys auf Eure Gesellschaft.“ Arkos achtete auf die Wirkung seiner Worte. Jeder wusste, dass die Elfen Wege kannten, Unsterblichkeit zu erlangen.
Da war es auch schon, dieses schnelle Blinzeln der Augen und das Streichen der Hand über den fast kahlen Kopf: Uranon war aufgeregt.
„In diesem Fall … werde ich Euch natürlich gerne begleiten“, sagte der Magier.
Das glaube ich sofort! In letzter Zeit häuft sich die Zahl der Frauen, die deine geheimen Kammern unter der Burg jung betreten und greise verlassen, nicht wahr?
„Welch frohe Kunde.“
Uranon räusperte sich. „Aber sagt, ist es nicht gefährlich, einen Krieg gegen das Elfenvolk vom Zaun zu brechen?“
„Normalerweise wäre es das, doch besitze ich verlässliche Informationen, nach denen eine Seuche mehr als die Hälfte der Elfen getötet und viele weitere geschwächt hat.“ So ungestüm sprang Arkos nun auf, dass der Stuhl zurückrutschte. Ein Bein verfing sich im Teppich. Mit einem Poltern fiel er um. „Es ist ein Omen! Und ich habe es verstanden! Das verwundete Biest braucht nur noch den Todesstoß!“
Uranons Lippen pressten sich zu zwei blutleeren Strichen zusammen, was man mit etwas Vorstellungskraft beinahe als Lächeln durchgehen lassen konnte. „So sei es.“ Mit einer Verbeugung, die tiefer war als alle bisherigen zusammen, fügte der Magier hinzu: „Wenn es genehm ist, werde ich mich nun zurückziehen, um alle nötigen Vorbereitungen für die Reise zu treffen.“
„Nicht so schnell.“
Ein argwöhnisches Leuchten trat in Uranons Augen.
Ja, mein lieber Uranon, du ahnst es bereits, nicht wahr? Die Sache hat in der Tat einen Haken …
„In letzter Zeit habt Ihr Euch selten blicken lassen“, sagte Arkos und vertrieb den kokettierenden Ton aus seiner Stimme. „Euer Eifer, Land und König zu dienen, scheint mir ein wenig nachgelassen zu haben.“ Er schaute sein Gegenüber fest an. „Die Soldaten und Magier, die mich begleiten, müssen loyal, kampferprobt und belastbar sein.“
„Seid Euch versichert, dass …“
Mit einer unwirschen Handbewegung hieß er Uranon zu schweigen. „Ich brauche Taten. Erweist Euch als der Aufgabe würdig.“ Arkos zog an einem mit Goldfäden verbrämten Strick, der aus der Decke hing. Ein Klingeln ertönte. „Es gibt nämlich jemanden, der mich nur allzu gern an Eurer statt begleiten würde – und auch einen Anspruch darauf hat.“
Die Tür schwang auf. Ein großer Mann in weißer Robe betrat den Raum. Sein langes Haar fiel wie ein heller Teppich auf Rücken und Schultern, und seine Augen von hellstem Blau verrieten Intelligenz – und Arroganz. Hoch erhobenen Hauptes baute er sich neben dem kleineren Uranon auf und warf diesem einen überheblich-mitleidvollen Blick zu.
„Das ist Palan“, stellte Arkos den Neuankömmling vor. „Palan Demortas.“ Und wieder konzentrierte sich Arkos auf Uranons Reaktion.
Der alte Magier blinzelte und strich sich mit der Rechten über den Kopf, sodass die letzten Strähnen des weißen Haares wirr abstanden. Sein Gesicht, ohnehin bleich, hatte nun die Farbe frischen Schnees. Er öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch wieder.
„Dieser Greis also hat meinen Vater getötet“, höhnte Palan. „Ich kann es mir nur so erklären, dass man ihm im Schlaf die Kehle durchgeschnitten hat. Wenn man nach Eurem Ruf geht, Uranon“ – er sprach den Namen wie einen Fluch – „erscheint mir das als sehr wahrscheinlich.“
„Euer Vater ist gestorben, weil er sich wegen meiner Herausforderung so einnässte, dass er auf der Lache ausrutschte und sich das Genick brach.“
Ein Rotstich legte sich auf Palans Wangen. Mit einer schnellen Bewegung griff er unter seinen Umhang und förderte ein Tuch zutage, mit dem er sich die Stirn tupfte. „Ich fordere Euch zum Duell, Uranon. Der Ring meines Vaters, den Ihr tragt“, Palan deutete auf den Silberring an Uranons rechtem Mittelfinger, in den ein dunkelblauer Stein eingefasst war, „wird bald wieder in Familienbesitz übergehen.“
„Da Euer Vater meinem Großvater ein guter Magier war“, sagte Arkos, „erhebe ich keine Einwände gegen die Bewerbung für das Amt meines Leibmagiers. Das Duell allerdings wird noch ein wenig warten müssen. Haben wir uns verstanden?“
Palan lächelte. „Ja, mein König.“
Zu Arkos´ milder Enttäuschung riss sich Uranon gut am Riemen, denn weder ging er auf Palans Herausforderung ein, noch sagte er etwas, das er später bereuen könnte. Er nickte lediglich.
Der alte Fuchs wird sich in seinen Bau zurückziehen und seine Pläne schmieden. Mal sehen, wer schlussendlich als Sieger hervorgeht.
Einen Augenblick genoss er die Feindseligkeit, die wie eine schwarze Wolke zwischen den beiden Magiern hing, bevor er sagte: „Auf dass die Götter meinem Vorhaben gewogen sein mögen, wird in zwei Tagen ein Turnier in der Arena stattfinden.“ Er blickte erst Palan, dann Uranon fest an. „Erst da werdet ihr euch duellieren.“
Nach einer äußerst knappen Verbeugung wandte sich Uranon wortlos ab und verließ den Raum.
Nachdem der Saum seiner Robe um die Ecke gewischt und die Tür ins Schloss gefallen war, sagte Palan: „Ich hatte gehofft, einen würdigen Nährboden für meine Rache zu finden. Stattdessen ist mein Kontrahent ein Greis, der bei jedem Schritt, den er macht, vor Schwäche umfallen könnte.“
„Unterschätzt Uranon nicht.“
Palan setzte ein Lächeln auf, das seine Augen jedoch nicht erreichte. „Da gibt es nichts zu unterschätzen. Ich habe seine magische Aura gespürt: Sie flackert so schwach und unstet wie eine erlöschende Kerze.“

*** 

Wie lange hatte Arkos, diese falsche Schlange, wohl schon von Palan gewusst? Wahrscheinlich etliche Götterläufe. Und er, Uranon, hatte nichts davon geahnt.
„Du Narr“, zischte er leise, während er sich Schritt um Schritt durch den Gang zu seinem Studierzimmer mühte. Nachdem er Barsat Demortas getötet hatte, hatte er weder einen weiteren Gedanken an diesen Schwächling verschwendet noch an die Möglichkeit, dieser könnte einen Sohn haben.
„Du elender, dreimal verdammter Narr!“
Sein überzeugender Sieg über Demortas hatte bislang jeden Emporkömmling davon abgeschreckt, ihm seine Position als Erzmagus streitig zu machen. Jetzt aber war es so weit. Dass dieser Palan nicht nur von Machtgier, sondern auch von Rachegelüsten getrieben wurde, war nicht das Problem. Nein, das Problem war Palans Stärke, die ungleich größer war als die seines Vaters. Die Schwingungen seiner arkanen Aura waren leider äußerst beeindruckend.
Uranon verhielt seine Schritte, um Atem zu schöpfen, und wartete, bis sich das rasselnde Pfeifen seiner Lungen legte. Er verfügte bei weitem nicht mehr über das magische Potential von einst, musste sich jedoch eingestehen, dass er sich nicht einmal während seiner Blütezeit mit Palan hätte messen können. Verzweiflung wallte in ihm hoch, Mutlosigkeit, als er daran dachte, wie Arkos´ Worte die Hoffnung geschürt hatten, die Wunder Nurathys´ zu erforschen und somit einen Weg zu finden, der nicht nur sein Leben verlängerte, sondern allem voran seine Jugend wiederherstellte. Es wäre möglich gewesen, denn die Zauberkunst der Elfen suchte ihresgleichen.
Jetzt wartet nicht nur der Tod auf mich, sondern obendrein eine Demütigung.
Verzweifelt schlurfte er weiter. Wie er es hasste, in diesem siechen Körper gefangen zu sein! Ein paar Mal hatte er bereits mit dem Gedanken gespielt, sich den Körper seines Adepten anzueignen, dieses Vorhaben jedoch schnell wieder verworfen: Es käme einer Verwandlung von einem Raubtier in eine Maus gleich. Zwar würde er damit einen jungen Körper besitzen, könnte allerdings von den Zaubern, die ihm selbst jetzt ohne große Mühe gelangen, nur träumen.
Da erschien selbst der Tod angenehmer.
Das bloße Aufstoßen der Tür ließ seine Gelenke knacken.
Sein Adept Njalan, der über ein Buch gebeugt am Experimentiertisch saß, sprang auf und eilte ihm freudestrahlend entgegen. „Meister! Ich habe die Abhandlungen über die dritte Sphäre der Elemente gelesen. Ganz wie Ihr es mir aufgetragen habt!“
„Du bist ein gelehriger und guter Schüler.“
Wie habe ich es mit diesem Trottel nur so lange ausgehalten?Den Impuls unterdrückend, Njalan auf der Stelle das Leben zu nehmen, sank Uranon in seinen Lieblingsstuhl neben dem Bücherregal, das die gesamte Stirnwand des Raumes beanspruchte. Obwohl das weiche Sitzpolster eine Wohltat für seinen schmerzenden Rücken war, konnte sich er ein Ächzen nicht verkneifen.
„Ist Euch nicht gut, Meister?“
„Doch, es …“, begann Uranon, dann keifte er: „Nein, überhaupt nichts ist gut!“
Erschrocken wich Njalan einen Schritt zurück. „Was ist passiert, Meister? Kann ich Euch helfen?“
„Ich brauche ein wenig deiner Magie.“
„Wie Ihr wünscht“, erwiderte Njalan und schloss die Augen.
Uranon blickte auf den Ring an seinem verdorrten Finger, den er Palans Vater nach dem Duell abgenommen hatte. Aus einer Laune heraus hatte er ihn später einmal untersucht – und herausgefunden, dass dem Ring eine spezielle Fähigkeit zu Eigen war: Man konnte damit eine Verbindung zu einem Ring gleicher Machart herstellen. Barsat hatte den Ring wahrscheinlich nur zur Zierde getragen, denn einen zweiten hatte Uranon in dessen Nachlass nicht entdeckt. So hatte er in mühsamer Kleinarbeit und unter hohen Kosten ein Gegenstück hergestellt, das nun Njalan trug.
Die Augen nun ebenfalls geschlossen, konzentrierte sich Uranon auf Njalans magische Aura. Wieder war er zu gleichen Teilen enttäuscht wie fassungslos, wie schwach sein Adept war. Trotzdem war er bis jetzt auf keinen anderen jungen Mann gestoßen, in dem mehr magische Kraft schlummerte.
Man muss sich mit dem begnügen, was man hat, redete er sich resigniert ein, während er ein wenig von Njalans Magie in sich übergehen ließ. Danach beendete er den Kontakt und verwandte den Fliegenschiss an arkaner Energie, um die Schmerzen in seinem Körper zu lindern. Zu gern hätte er Njalan leer gesaugt, um wenigstens für einen Herzschlag wieder einmal wirkliche Stärke zu fühlen, doch pflegte die Magie nicht lang in seinem Körper zu bleiben: Sie floss so rasch aus seinem gebrechlichen Leib wie Wasser aus einem lecken Krug. Nein, er bräuchte Njalans Kraft später.
Sein Adept blickte ihn besorgt an. „Meister, ich könnte mich darum bemühen, eine junge Frau …“
Uranon schüttelte den Kopf. „Das Ritual kostet mich mittlerweile fast so viel Kraft, wie es mir einbringt. Wir haben ganz andere Sorgen.“
Fragend blickte Njalan ihn an.
Nach einem Seufzer aus tiefstem Herzensgrund erzählte er seinem Adepten von Palan Demortas.
„Dafür wird der Kerl mit dem Leben bezahlen, nicht wahr?“, fragte Njalan mit leuchtenden Augen.
„Das wird er“, antwortete Uranon. Auf ihn selbst wirkten seine Worte nicht sonderlich überzeugend.
Auf Njalan offenbar ebenfalls nicht, denn er fragte: „Ist dieser Palan ein starker Magier?“
Ja – bei den Göttern! – das ist er! Aber die Worte gelangten Uranon nicht über die Lippen. Stattdessen sagte er: „Nein.“
Njalans Miene hellte sich auf. „Dann werde ich ihn herausfordern!“
„Schlag dir das aus dem Kopf.“

*** 

Gelangweilt schob sich Palan eine Traube in den Mund. Mit einer Handbewegung schleuderte er die Schale, die neben seiner Bettstatt mittels Magie schwebte, durch das Zimmer. Sie zerbarst an der gegenüberliegenden Wand, und ein Regen aus Früchten platschte zu Boden.
Die vergangenen zwei Tage waren unerträglich zäh verronnen, da er sich nicht einmal auf das Duell hatte vorbereiten müssen. Mochte Uranons Magie einst beachtlich gewesen sein, war sie inzwischen fast genauso tot wie sein Körper.
Ich müsste den Greis nur dazu bringen, sich während des Duells nicht setzen zu dürfen, und ich hätte den Kampf ohne einen einzigen Zauber gewonnen …
Die Schwäche Uranons beleidigte ihn.
Eine Dienstmagd betrat sein Schlafgemach und machte sich daran, die Scherben und verstreuten Früchte aufzusammeln. Sie war zierlich, ihr Gesicht ein wenig zu schmal, die Brüste verglichen mit den sonstigen Proportionen aber akzeptabel. Sollte er sie in sein Bett holen?
Er verwarf den Gedanken. Stattdessen sandte er seine Magie aus, sacht, wie winzige Fühler, die sich in die Gedanken der Frau tasteten.
Ein tristes Leben. Viel Arbeit, der Mann in einem von Arkos´ Kriegen gefallen, ihr Sohn bei der blinden Großmutter. Ah, sie hatte Angst vor Spinnen.
Ein Lächeln kräuselte Palans Lippen.
Unvermittelt verwandelte sich die Frucht, die sie gerade vom Boden auflas, in eine haarige, faustgroße Spinne, die ihren Arm hinaufschoss. Die Frau kreischte, als die Spinne auf ihr Gesicht sprang.
Panisch schlug sie nach dem Tier. Aber es hatte sich in ihrer rechten Wange verhakt. Schreiend riss sie an dem fetten, schwarzen Körper. Im nächsten Moment tropfte ihr der Saft der zerquetschten Frucht aus der Hand. Sechs Kratzer in ihrem Gesicht aber blieben.
Die Frau übergab sich und blieb wimmernd liegen.
Der säuerliche Geruch erreichte Palan. Angewidert verzog er das Gesicht. „Mach sofort die Sauerei weg!“
Die Frau rührte sich nicht, sondern lag zusammengekrümmt und schluchzend am Boden wie ein Neugeborenes.
Zorn stieg in ihm hoch. Ein Blitz schoss aus seinen Fingerkuppen und traf die Frau. Sie bäumte sich auf und schrie vor Schmerz, begann dann aber, das Erbrochene mit einem Tuch aufzuwischen. Anschließend rannte sie weinend aus dem Zimmer.
Ein paar Früchte lagen noch am Boden. Kleine Flammen züngelten. In Windeseile verbrannten sie zu Asche.
So ging es seit der Audienz bei König Arkos Stund um Stund. Palan verschleuderte die in ihm aufgestaute Magie für derlei Firlefanz. Aber was sollte er auch sonst tun?
„Herr?“, ertönte eine Stimme.
„Kommt näher“, wies Palan einem seiner Männer an, die er ausgeschickt hatte, um Erkundigungen über Uranon einzuholen. Der Mann trat vor Palans Bettstatt.
„Und?“
„Es scheint, dass Uranon die letzten Jahre einzig und allein damit zugebracht hat, den Tod auf Distanz zu halten. Man munkelt, er tue dies, indem er die Lebenskraft junger Frauen in sich aufnimmt. Außerdem bildet er seit einiger Zeit einen Adepten aus, der auf ziemlich plumpe Weise Nachforschungen über Euch anstellt.“
„Sonst nichts?“
„Nein.“
Palan ließ sich in die Kissen zurücksinken.
Da reise ich im Verborgenen jahrelang von Lehrmeister zu Lehrmeister und halte mich bedeckt für den Augenblick der Rache – und dann so etwas!
Er seufzte. „Du kannst dich zurückziehen.“
Der Mann verneigte sich und ging.
Der einzige Trost für diese Farce war die Aussicht, mit Arkos´ Heer nach Nurathys zu ziehen und die Magie der Elfen zu erforschen. Aber zu welchem Nutzen? Sobald Uranon tot und die ohnehin geschwächten Elfen besiegt wären, welche Gegner blieben dann, mit denen er, Palan Demortas, seine Kräfte messen könnte?

*** 

Es war unerträglich heiß, selbst im Schatten des Baldachins der Königsloge, von wo aus Uranon auf die Kämpfe blickte, die sich im mittlerweile blutbesprenkelten Sand der Arena abwickelten.
Männer, einige mit Bein- und Armschienen armiert, andere mit Helm und dafür nacktem Oberkörper, bekämpften sich unerbittlich. Gerade strauchelte ein Kämpfer im Netz, das sein Gegner ihm zwischen die Beine geschleuderte hatte. Ein Stich mit dem Dreizack folgte. Der Mann sank zu Boden, drei rote Punkte in der Bauchmitte, die schnell größer wurden. Er war noch am Leben. Der Sieger baute sich über ihm auf, hielt den Dreizack an dessen Hals und blickte zu Arkos. Die Zuschauer brüllten und tobten. Wenige baten um Gnade; dem Großteil dürstete es nach Blut.
Arkos stand auf, in der Rolle des Beherrschers über Leben und Tod ganz in seinem Element, und trat an die Balustrade. Er streckte die rechte Hand aus, spreizte den Daumen ab und sonnte sich in der Aufmerksamkeit seines Volkes. Einige Momente hielt er diese Pose. Dann drehte er den Daumen nach unten.
Der Dreizack-Kämpfer nickte – und stieß die Spitzen seiner Waffe ruckartig in den Hals des Verlierers.
Das Jubelgeschrei der Massen stieg in solche Höhen, dass Uranon meinte, ein Dämon des höchsten Zirkels kreischte ihm direkt ins Ohr.

Dieses Abschlachten dauerte schon ewig, doch kein Ende schien in Sicht. Seit einer gefühlten Ewigkeit träumte er sich in seinen Lieblingssessel, wusste aber, dass Arkos´ Gier nach Tod, Ruhm und Ehre nicht zu sättigen war. Zu allem Überfluss wirkte Palan von dem Spektakel ebenso fasziniert, zumal dieser überhebliche Fatzke einen Permazauber wirkte, der seine Haut kühlte. Kein einziger Schweißtropfen hing an seiner Stirn, während Uranon meinte, unter seiner Robe zu verdampfen. Seine Gedanken um die bevorstehende Konfrontation stiegen nach oben wie Blasen aus Faulgas vom Grund eines trüben Tümpels, zerplatzten jedoch, bevor er sie greifen konnte.

ENDE DER LESEPROBE

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