Die Eherne Garde
Können Licht und Dunkelheit nebeneinander existieren, ohne sich auszulöschen?
Eine Welt am Abgrund braucht Helden – bekommt aber eine von Rachdurst getriebene Jägerin und einen Krieger, dessen verderbte Seele ihn zu schrecklichen Taten treibt. Einen Gegner nämlich kann er nicht bezwingen: sich selbst.
Die schwarze Klaue ist der Auftakt einer actiongeladenen Fantasy-Trilogie aus der Feder von Amazon-Bestseller-Autor Peter Hohmann. Schwert und Magie entfalten ihre Macht in dieser düsteren Erzählung, in der Dämonenhorden die Lande der freien Völker überrennen.
Auf ihrer Flucht trifft die Hüterin Avi auf Lormak, den Gezeichneten, der Mensch und Dämon in sich vereint. Sie ist auf ihn angewiesen, um hinter das Geheimnis der Dämonenplage zu kommen – er auf sie, um seine Vergangenheit zu enträtseln. Keiner von beiden will diese Zweckgemeinschaft, aber nur so besteht eine Aussicht auf Erfolg.
Je länger die gefahrvolle Reise allerdings andauert, desto tiefer gleitet Lormak in seine innere Dunkelheit ab. Und diese Dunkelheit giert nach nichts anderem als Gewalt, Vernichtung und Tod.
Ein Fantasy-Epos, bei dem die Helden nicht im Licht wandeln, sondern bestenfalls im Schatten …
Alle drei Bände erhältlich als:
- E-Book
- Paperback
- Hörbuch
Inzwischen gibt es auch eine Gesamtausgabe aller drei Ebooks: Link
Eine von Dämonen heimgesuchte Welt hofft auf Erlösung
Die Dämonenreiter galoppierten heran.
„Lauf, Festos, lauf!“, schrie Avi.
Der Hengst schnaubte erbärmlich, ein heiseres, kehliges Keuchen. Zwei weitere solcher Anstiege und er würde zusammenbrechen. Sie brauchten planes Gelände. Zur Linken lag eine verlassene Hofstelle, auf dem Feld neben der Scheune standen vertrocknete Weizen- und Gerstenhalme. Ein magerer, struppfelliger Hund schoss heran, sprang hoch und schnappte nach ihrem Bein. Sie trat nach ihm, erwischte die Schnauze. Winselnd überschlug er sich. Ein Dämonenross zerstampfte ihm den Schädel.
Avi beugte sich nach vorne, um dem Wind wenig Fläche zu bieten.
Die Hatz ging weiter.
Enden würde sie aller Wahrscheinlichkeit nach mit ihrem Tod …
LESEPROBE
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Avi schloss die Augen, strich Haarsträhnen aus ihrem Gesicht, die aus dem ledernen Band um ihre Stirn gerutscht waren, und lauschte dem Säuseln des Herbstwindes. Er sang von Vernichtung und Tod, Trauer und Verzweiflung. Seit Jahren hörte sie diese immerselbe Strophe, wenn er von Norden heranwehte, aus Landaskan, der Ödnis des Schreckens.
Sie öffnete die Lider, und ihr Blick tastete über die Ebene, auf der Farn und Steppengras rauschten, als wiegten sie ihre dürren Körper zum Klagelied der Bö. Mit einem Seufzen verlagerte sie ihr Gewicht, streckte die untergeschlagenen Beine aus und ließ sie von dem moosbewachsenen Stein baumeln, auf dem sie saß.
Nichts regte sich.
Keine Menschen.
Keine Dämonen.
Das würde sich ändern. Bald schon. Sie spürte es, wenn die dunkle Brut sich näherte. Es war eine Gabe, die sie nicht verstand.
Oder ein Fluch?
Sie unterdrückte die innere Stimme und griff nach dem Kompositbogen aus Horn und Eibenholz. Liebevoll strichen ihre Finger über die Waffe. Im Lauf der Jahre war der Bogen eins mit ihr geworden, er gehorchte ihrem Willen, ein treuer Freund, der dasselbe Ziel verfolgte wie sie: so viele Dämonen zu töten wie nur möglich.
Dass sie ehemals Menschen gewesen waren wie sie, hatte sie anfangs zaudern lassen – und in große Gefahr gebracht. Sobald die Seele eines Dämons von jemandem Besitz ergriffen hatte, gab es keine Rettung mehr. Man musste töten; sonst wurde man getötet.
Am Horizont, dunkel und abstoßend, hing eine zu vielen Fasern zerschlierte Gewitterwolke, ähnlich zerlaufener Tinte, und gewährte der untergehenden Sonne nur ein spärliches, blutrotes Leuchten.
Dort, jenseits der Erhebungen und Wälder, lag Landaskan. Dort irgendwo lag der Grund, warum nahezu jede zweite Frau ein Kind gebar, das sich früher oder später in einen Dämon verwandelte. War es ein Fluch der Götter? Magie? Eine unglückliche Fügung? Niemand wusste das. Nur eines stand in Stein gemeißelt: So durfte es nicht weitergehen.
Groteskerweise bestand Avis Hoffnung darin, dass die Brut sich weiter ausbreitete, denn irgendwann mussten die anderen Regenten reagieren, wollten sie nicht untergehen. Unter einem Banner müssten die Rassen sich vereinen: Eine Allianz gegen die Dunkelheit, geführt von Menschen, Elfen, Zwergen und Goblins und Orks und Ogern …
Ein Gedanke, der genauso schön wie absurd war. Das würde niemals geschehen.
Würden sich wenigstens die Menschen verbünden, wäre das ein Anfang; aber selbst das geschah nicht. Landaskan gab es nicht mehr, Vandur war so gut wie gefallen. Musste auch noch Lantra untergehen, ehe man etwas unternahm?
Warum kämpfe ich überhaupt? Welchen Unterschied macht es? Wieso verschwinde ich nicht einfach in den Süden, lebe dort in heuchlerischer Glückseligkeit, bis das Unvermeidliche seinen Lauf nimmt?
Avi krampfte die Finger um den Bogen und stellte sich auf den Stein.
„Ich werde den Schwur nicht brechen!“, zischte sie, und ihre Augen verengten sich, da sie kleine Punkte sah, die aus einem Waldstück am anderen Ende der Ebene auftauchten. „Niemals!“
Flüchtlinge. Etwas mehr als ein halbes Dutzend auf drei alten Bauernkarren mit eingeschirrten Pferden.
Dies war Avis Aufgabe: Jenen helfen, um die sich niemand scherte. Die wenigen Streifscharen, die es in Vandur noch gab, waren damit beschäftigt, den Vormarsch der Dämonen aufzuhalten. Um flüchtende Familien kümmerten sie sich nicht. Und genau diese waren das bevorzugte Ziel der dämonischen Späher, um ein Schlachtfest anzurichten.
Sie sprang herunter, steckte den Bogen in das lederne Futteral am Sattel und schwang sich auf ihren falbenfarbenen Hengst Festos, der das Grasrupfen einstellte und sie nach hinten schielend empört anguckte.
„Genug gefressen.“ Avi gab ihm die Sporen.
Mit einem Wiehern stieg er auf die Hinterbeine, ehe er ausgriff und den flachen Abhang hinabpreschte. Wind zauste Avis Haar, ihr grüner Umhang blähte sich, der Boden unter ihr rauschte in einem grün-gelblichen Wischen vorbei. Festos mochte seine Marotten haben, doch er war schnell wie ein Pfeil – wenn er denn wollte.
Sie lenkte ihn nach links in eine Senke, dann eine leichte Anhöhe hinauf, dass die Grassoden nur so unter den Hufen in die Höhe flogen und die Farne gegen Avis Stiefel schnalzten.
Ein Schrei.
„Schneller, du lahmer Bock!“, schrie sie, sich verfluchend, dass sie zu lange in Gedanken geschwelgt war.
Festos schnaubte, als hätte er sie verstanden, und machte einen Satz. Auf der Kuppe zog sie an den Zügeln, stellte sich in den Sattel. In zweihundert Meter Entfernung rumpelten die Karren in wilder Fahrt. Aus dem Wald, den sie verlassen hatten, setzten ihnen ein halbes Dutzend Gestalten nach. Von hier wirkten sie wie normale Menschen.
Avi spürte, dass sie keine waren.
„Heja!“ Sie klatschte Festos auf die Flanke. Den Kopf nach vorne gebeugt, sprengte er voran. Sie ließ die Zügel los, dirigierte ihn mit den Knien und griff nach ihrem Bogen. Aus dem Köcher fischte sie einen Pfeil und legte ihn in einer fließenden Bewegung auf. Kaum war die Kerbe auf die Sehne gerutscht, brachte sie ihn auf Zug. Der Bogen knarzte. Sie federte das Hüpfen im Sattel ab, hielt ihre Atmung ruhig, obwohl das Kampffieber in heißen Wellen durch ihre Adern brandete.
Sie visierte den Ersten an.
Der Pfeil schnellte von der Sehne, beschrieb einen flachen Bogen. Der Gegner überkugelte sich und blieb liegen.
Schon befand sich der nächste gefiederte Todesbote in der Luft.
Kopfschuss.
Aus vollem Lauf schlug der Getroffene hin.
Für Ärger blieb keine Zeit.
Sie hatte auf den Oberkörper gezielt.
Vier übrig.
Ein Krachen ertönte. Die Vorderseite eines Wagens bohrte sich in den Boden, als die Achse barst. Die beiden Leute auf dem Kutschbock wurden zu Boden geschleudert und blieben benommen liegen. Das Pferd schrie schmerzerfüllt auf, als die noch intakte Deichsel es niederzwang.
Avi war auf fünfzig Meter heran.
Zwei der Dämonen liefen auf das Fuhrwerk zu, zwei auf sie.
„Kommt nur!“, knurrte sie und feuerte.
Der Pfeil grub sich in das Bein eines Angreifers. Ein paar Meter vor dem Wagen fiel er hin. Den nächsten Pfeil schoss sie quasi aus der Hüfte. Das Glück war ihr hold: Er erwischte den zweiten seitlich im Brustkorb. Nach ein paar torkelnden Schritten sank er in sich zusammen.
Ohne zu zögern warf sie den Bogen fort, beugte den Körper und zog ihr Schwert aus der Scheide am Sattel.
Keinen Moment zu früh.
Ein Dämon streckte seine klauenartigen Hände nach ihr aus, um sie herunterzuzerren. Dann erlosch das Glühen in seinen Augen, da Avi ihr Schwert in einem Unterbogen schwang und die geweihte Klinge ihm das Gesicht vom Kinn aufwärts bis zur Stirn spaltete. Es gab ein schauerliches Knacken, dann einen dumpfen Schlag, als Festos´ Brustkorb den Dämon traf und niederschleuderte. Mit schlenkernden Armen kullerte er durch das hüfthohe Gras.
Sie presste mit den Knien. Festos beschrieb eine enge Rechtskurve.
Die Klauen des verbliebenen Dämons fuhren ins Leere. Avi drehte sich und stieß das Schwert nach unten. Die Spitze verschwand im spitzzahnigen Maul. Ein Ruck ging durch den Körper, und Blut, ein modriges Schwarzbraun, sprudelte zwischen den Lippen hervor. Ein Zischen und Brodeln, in Windeseile blätterte die Haut vom Hals, entblößte die Wirbelsäule. Avi zog den geweihten Stahl heraus und ritt zum Fuhrwerk.
Ein kleiner Junge lag auf dem Rücken, blinzelte und wimmerte leise. Er lebte noch. Gut.
Sie hüpfte aus dem Sattel und eilte zum Kutscher, der mit fahrigen Schlägen den Dämon abzuwehren versuchte, der trotz des Pfeils im Bein auf ihm hockte und seine Reißzähne dessen Hals näherte.
„Hier bin ich, du feige Ausgeburt!“, brüllte Avi, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Ohne Erfolg.
Das Maul schnappte zu. Ein schrilles Kreischen, das jäh zu einem Röcheln erstarb, da der Dämon seinem Opfer die Kehle herausriss und den Fetzen Fleisch hinunterschlang.
Den lederumwickelten Griff ihrer Waffe mit beiden Händen umfasst, enthauptete Avi das Scheusal. Der Kopf purzelte zur Seite und kam so zu liegen, dass das blutbesprenkelte Dämonengesicht sie anstarrte. Bis auf die schwarzen Augen, dem fahlen Gesicht, über das sich rankenartige Male zogen wie Tätowierungen, und dem großen Gebiss mit den Reißzähnen besaß es noch die Züge eines Menschen. Dies war keine Vorhut gewesen, sondern lediglich eine nach Blut und Tod gierende Meute, die sich auf das Erstbeste gestürzt hatte, was ihnen vor die Klauen kam. Es gab auch menschliche Hüllen, die ein höherer Dämon bewohnte. Die waren um einiges zäher und gefährlicher, mit gänzlich schwarzer Haut und raubtierartigen Köpfen. Manche führten sogar Waffen.Avi schloss dem getöteten Mann die in Entsetzen geweiteten Augen, steckte ihr Schwert in den Boden und kniete sie sich zu dem Jungen. Blondes Haar, das ihm verschwitzt an den Schläfen klebte, Augen, in denen dunkle Schatten schwebten. Den heutigen Tag würde er niemals vergessen.
„Es ist vorüber“, flüsterte sie, strich ihm über die Stirn. Er drehte den Kopf weg. Trotzdem untersuchte sie ihn oberflächlich. Gebrochen schien nichts.
Avi ging zu dem Pferd. Es lag auf der Seite, der linke Vorderlauf hing in einem grotesken Winkel nach unten. Das Fell war schweißbedeckt, klitschig.
Sie schluckte, und ein sanftes Seufzen entwich ihren Lippen, als sie dem Tier über die Backe streichelte. Es hob den Kopf, blickte sie aus einem großen Auge an. Sie kraulte es weiter, während ihre rechte Hand zum Gürtel wanderte, den Dolch umfasste.
Sie mochte sich täuschen, aber ihr war, als würde das Tier verstehen: Es legte den Kopf nieder, und ein langsamer Wimpernschlag schien zu signalisieren, dass es bereit war. Avi biss sich auf die Unterlippe, dann, schnell und kraftvoll, schnitt der scharfe Stahl durch den Hals. Ein Zittern durchlief den Leib.
Stille.
So war es immer nach einem Kampf. Erst Schreie, Grunzen, Knurren, das Sirren von Pfeilen und die schlitzenden Geräusche todbringender Hiebe, danach Stille. Nur der Wind legte eine säuselnde Note von Wehmut über das Geschehene. Er hatte neuen Stoff für sein Klagelied.
Avi nahm ihr Schwert und machte sich daran, die anderen Dämonen zu köpfen, ungeachtet der geweihten Pfeilspitzen, die in ihren Körpern steckten: Sicher war sicher.
Anschließend wischte sie die Klinge am löchrigen Oberhemd eines Dämons sauber, schnitt ihre noch brauchbaren Pfeile aus totem Fleisch, reinigte sie, las den Bogen auf und wartete darauf, dass die in Panik Geflohenen zurückkehrten.Jutesäcke und Kisten waren vom Wagen gestürzt, lagen aufgebrochen auf der Erde: Proviant, Kleidung, ein paar private Habseligkeiten. Avi hob eine zerschlissene Puppe auf und wandte sich dem Jungen zu, der nun mit aufgerichtetem Oberkörper dasaß. Er stierte auf den toten Mann. War es sein Vater?
Avi schluckte. War sie genauso versteinert dagesessen, nachdem die Dämonen ihre Eltern zerfleischt hatten? Verschwommen erinnerte sie sich an Bilder; klar und ungetrübt an die unsägliche Angst. Ihre Hand ließ die Puppe fallen und umschloss den Anhänger, der an einer Kette um ihren Hals hing. Es war ein dunkelblauer Stein, eingefasst in einen Ring aus mattiertem Silber, der das Horn eines Einhorns symbolisierte, dessen Körper ganz klein am unteren Rand abgebildet war. War es der Anhänger ihrer Mutter? Ihres Vaters? Oder hatte der Traum, der sie manchmal ereilte, mehr Bedeutung, als sie ihm zumaß? War er mehr als ein Gespinst wirrer Fantasien? Sie ließ den Anhänger los. Jetzt war nicht die Zeit für Erinnerungsseligkeit.
„Kjala!“
Eine Frau lief auf den Jungen zu. Sie trug ein hemdsärmeliges Kleid am mageren Körper und die Erschöpfung einer entbehrungsreichen Reise im Gesicht. Sie warf sich neben ihm auf die Erde und drückte ihn ans Herz.
„Kjala, du lebst!“ Sie weinte und küsste ihn auf die Stirn. Dann blickte sie zu Avi. In diesem Moment kam ein hagerer Mann mit hohlen Wangen aus dem Gebüsch, einen Knüppel in der Hand. Auch er stürzte zu dem Kind und umarmte es. Ihm folgten zwei Wägen, der eine gelenkt von einem jungen Mädchen, der andere von einem Burschen, den Avi auf fünfzehn oder sechzehn schätzte. Auf der Ladefläche saßen ein ältlicher Mann und eine Frau mit grauem Haar.
Kjalas Mutter näherte sich Avi. Dann jedoch erblickte sie die Leiche, hob eine Hand vor den Mund, verhielt ihre Schritte und starrte auf den enthaupteten Dämon. Mit verweinten Augen wandte sie sich wieder an Avi.
„Ihr habt meinen Sohn gerettet. Ich danke Euch!“
Avi nickte. „Ich bin froh, dass er lebt. Für ihn …“, Avi neigte den Kopf zu dem Toten, „… konnte ich leider nichts tun.“
„Jakos“, schluchzte die Frau, „mein Bruder.“
„Es ging schnell, er musste nicht leiden.“
Die Frau nahm einen bebenden Atemzug. „Seid Ihr die Hüterin?“
„Manche nennen mich so“, antwortete Avi. „Ich war lediglich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“
„Ich bin Kyria“, sagte die Frau.
„Avi.“
Kyria sah auf die zerbrochenen Kisten und Säcke. „Wir haben nicht viel, aber nehmt Euch bitte, was Ihr braucht.“
„Ich bin keine Söldnerin. Meine Hilfe gebe ich jedem, der sie benötigt.“
Kyria legte den Kopf leicht zur Seite und betrachtete Avi nachdenklich. „Das ist selten in Zeiten wie diesen. Ihr habt eine Art … Aura. Entschuldigt, anders kann ich es nicht ausdrücken.“ Sie fuhr sich mit dem dreckigen Ärmel ihres Kleides über das Gesicht und atmete tief durch. „Seid Ihr hungrig? Wir haben zu essen. Begleitet uns.“
„Ich nehme das Angebot an. Die Nacht verbringe ich in eurem Lager, danach reise ich weiter.“
Kyria nickte und stellte ihr die anderen vor. Ihr Mann, der hagere Kerl mit dem Knüppel, hieß Rowen. Die beiden Jugendlichen waren Kjalas Geschwister, die Alten Rowens Eltern.
*
„Geschafft“, brummte Rowen, nachdem alle angepackt hatten, um die heruntergefallene Ladung auf die anderen Karren zu verteilen. „Habt Dank. Ich werde Jakos begraben, dann ziehen wir weiter.“
Avi sah zurück. Blitze zuckten aus der Gewitterwolke, gleißende Verästelungen, die einen Nachhall auf der Netzhaut verursachten. Donner antwortete dem weißen Leuchten. Der Wind hob an. Sie spürte keine dämonische Präsenz. Das jedoch konnte sich rasch ändern.
„Dafür ist keine Zeit. Wir sollten weiterziehen.“
Ungläubig sah Rowen sie an. „Du willst ihn hier liegen lassen, für die Schakale und Geier?“
„Jakos würde es verstehen. Jede Verzögerung bringt deine Kinder in Gefahr.“
„Ich werde mir von einer Frau nicht sagen lassen, was …“
Avi kehrte ihm den Rücken und setzte einen Fuß in den Steigbügel.
„Rowen!“, rief Kyria. „Sie hat Recht!“
„Schweig still, Weib! Es ist dein Bruder!“
Ungerührt sah Avi zurück. Der Mann war ein Narr. Von seinem Schlag kannte sie viele. Sein Gebaren erzürnte sie nicht. Sie hatte dafür gesorgt, dass ein junges Kind am Leben war. Egal ob sein Vater ein kluger Kopf war oder ein Idiot, es brauchte seine Eltern. Avi fällte eine Entscheidung: Sie würde dafür sorgen, die Familie in Sicherheit zu bringen, bevor sie weiterzog. Ritt sie jetzt davon, wäre es gut möglich, dass sich bald andere Dämonen an ihrem Fleisch labten.
Somit ging sie zu Rowen und trat ihm ins Gemächt.
Japsend sank er in den Staub.
Sie packte ihn an den Haaren, zerrte ihn hinter sich her und beförderte ihn auf die Ladefläche, wo er mit angezogenen Beinen, die Hände auf sein Genital gepresst, liegen blieb und heisere Flüche gegen sie ausstieß.
Kyria glotzte sie an. „Werde ich mir für die Zukunft merken …“
Avi lachte und wuchtete sich in den Sattel. Festos tänzelte aufgeregt, da er wohl den Blutgeruch des toten Pferdes in den Nüstern hatte.
Sie patschte ihm auf den Hals. „Ich werde nicht zulassen, dass dir so etwas passiert.“
Er schnaubte, warf den Kopf in den Nacken und stakste los. Quietschend folgten die Wagen.
Sie bedauerte den Tod Jakos´ und sprach ein stummes Gebet an Arsamon, den Gott des Todes, der die Seelen der Verstorbenen in sein Reich aufnahm. Anfangs hatte es sie schockiert, wenn jemand starb, den sie unter anderen Gegebenheiten vielleicht hätte retten können. Inzwischen fand sie sich damit ab. Froh, immerhin den Jungen beschützt zu haben, sehnte sie sich dem Nachtlager entgegen, einer guten Mahlzeit sowie einem hoffentlich traumlosen Schlaf.
Erschöpfung hin oder her, sie war am Leben und gesund und daher in der Lage, ihre Aufgabe fortzuführen. Andächtig holte sie das Amulett hervor und küsste den blauen Stein.
Ein Blitz zuckte vom Himmel und tauchte die Szenerie in gespenstisches Licht.
Zeitgleich begann es zu regnen, zuerst vereinzelte, dicke Tropfen, die auf die Erde patschten. Bald jedoch trieben Regenwände wie Rauchfahnen über sie hinweg. Wasser lief in Avis Kragen, egal wie eng sie den Umhang um ihre Schultern raffte.
Egal.
Der Junge lebte.
Nur das zählte.
*
Schreie und reißende Geräusche von Fleisch, das jemand von Knochen fetzte und schmatzend zerkaute. Geruch von Blut, metallisch, das linde Patschen, wenn Spritzer davon Boden und Wände trafen und ein Mosaik der Gewalt schufen.
Sie rannte ins Freie, schreiend, Angst und Entsetzen pulsten durch ihren Körper.
Gras unter ihren Füßen.
Plötzlich stürzte sie.
Schatten näherten sich, der Gestank von Fäulnis und frischem Blut umgab sie wie eine Wolke der Verderbnis.
Sie würden sie holen, jetzt, und sie verstümmeln und auffressen. So, wie sie es mit ihren Eltern getan hatten.
Nichts würde sie aufhalten.
Ein Blitz aus Licht.
Die Schatten vergingen darin.
Das Schlagen von Hufen.
Die Gestalt einer Frau, das Gesicht leuchtend und warm, so hell, als würde eine Aureole aus Licht es umgeben.
Lächelnd beugte sie sich zu ihr hinab und …
*
Avi schrak hoch. Das Herz schlug hart wider ihren Brustkorb. Der Mund war trocken. Sie streifte die Decke ab und richtete sich auf. Die Kühle der Nacht umgab sie, Nebel dunstete zwischen Sträuchern und Bäumen.
Sie strengte die Augen in der Dunkelheit an. Nichts. Keine Regung. Fahles Mondlicht, von den Ästen des Waldes in schmale Streifen geschnitten, erhellte den nach Feuchtigkeit riechenden Boden.
Was hatte sie aus dem Schlaf gerissen?
Fröstelnd erhob sie sich, als die Nacht ihr die Wärme des Schlafes stahl. Auf steifen Beinen ging sie zu Festos und trank vom Wasserschlauch am Sattel. Festos schnaubte, wandte den Kopf und stupste sie mit der Nase an. Seine Flanken zitterten.
„Ruhig, mein Bester“, wisperte sie. Auch er spürte es. Etwas stimmte nicht. Lautlos zog sie ihr Schwert. Mondlicht rann über den Stahl.
Leise huschte sie zurück ins Lager. Wo zum Teufel war Rowen? Er war zur Wache eingeteilt!
Die Schlafstätten …
Drei waren leer. Ihre, Rowens … und?
Unschlüssig fuhr ihr Blick in die Nebelschwaden.
Ein Schrei ertönte.
Avis Herz setzte einen Schlag aus.
Sie umklammerte den Griff ihres Schwertes. Woher war der Schrei gekommen?
Jemand drehte sich in seiner Decke, murmelte etwas.
Avi schluckte den Druck in ihrer Kehle weg, steckte das Schwert vor sich in die Erde, holte den Bogen, bog das obere Stück einwärts und hakte die Sehne ein. Wachsam wartete sie.
Eine Bewegung zu ihrer Linken.
Jemand stolperte aus dem Wald, hielt sich die Seite.
Rowen.
Sie ließ den Bogen sinken, blieb jedoch, wo sie war.
Keuchend taumelte er auf sie zu. Blut sickerte zwischen den Fingern hindurch. Sein Gesicht war totenblass, die Lippen über die Zähne zurückgezogen, die Augen aufgerissen wie bei einem durchgehenden Gaul. Der Mond intensivierte das Weiß seiner Pupillen.
„Was ist passiert?“
Er gab keine Antwort, sank auf die Knie und krümmte sich vor Schmerz.
„Nimm die Hand weg!“
Stöhnend löste er die blutverschmierten Finger. Die ganze rechte Seite war nass von Blut.
Avi legte den Bogen ab und holte ein Tuch aus der Tasche, das sie Rowen hinwarf.
Ihre Hilfsbereitschaft war ihr Fehler. Sie bemerkte ihn erst, als es zu spät war.
Ein weiterer Schrei ließ sie herumfahren.
Rowens Mutter, Farina, kroch über den Boden, die Decke noch um die Beine geschlungen. Über ihr stand Kjala. Dunkle Flüssigkeit tropfte von der Klinge in seiner Hand.
Erschüttert ergriff Avi den Bogen.
Kjala stieß zu. Das Messer traf Farinas linken Oberschenkel und hinterließ eine tiefe Wunde.
Die alte Frau kreischte.
Avi fasste Kjala ins Auge, während ihre schreckenssteifen Finger einen Pfeil auf die Sehne spannten.
Die unschuldigen, von Schrecken erfüllten Augen, in die sie nach seiner Rettung geblickt hatte, hatten sich in düsterrote Kohlestücke verwandelt, in denen tiefe Bösartigkeit loderte. Schwarze Pusteln, als wäre seine Haut brandig gesprungen, entstellten sein Gesicht, das gekrönt war von zwei kleinen Hörnern, die aus seinem Haaransatz sprossen.
Avi wusste nun, was sie aufgeweckt hatte: seine dämonische Präsenz.
Trotzdem drückte es ihr das Herz zusammen, als sie Kjala anvisierte.
Nein, nicht Kjala, nicht der unschuldige, verängstigte Blondschopf vom Nachmittag – sondern ein Dämon! Eine Kreatur der Finsternis!
Plötzlich sprang jemand auf. Es war Kyria. Sie befand sich genau in der Schusslinie.
„Kjala! Was ist mit dir?“, rief sie mit überschnappender Stimme. Immerhin fasste sie ihre verwundete Schwiegermutter an den Handgelenken und schleifte sie weg. Statt selbst zurückzuweichen, näherte sie sich ihrem Kind – oder dem, was es einst gewesen war.
„Was tust du? Fort mit dem Messer! Bitte, Kjala! Komm zu mir. Komm zu deiner Mutter. Ich will dir helfen.“
Ein Knurren, das Avi durch Mark und Bein ging. Es kam aus Kjalas Mund – und klang so gar nicht nach kleinem Kind. Es war der Laut einer Bestie, die nach Blut und Tod trachtete.
Endlich fand Avi ihre Stimme. „Geh beiseite!“, rief sie.
Kyria reagierte nicht.
Dann keuchte sie auf, taumelte zurück, stürzte. Im Fallen drehte sie sich. Avi sah den klaffenden Schnitt, der sich von ihrer linken Brust bis zum Bauch zog.
Genug, ich muss ihn töten!
Sie führte die rechte Hand zurück, die Fiederung des Pfeils streifte ihre Wange.
Kjala lächelte böse, er führte das Messer zum Mund. Eine verfärbte, aufgequollene Zunge leckte das Blut von der Schneide. Er erfasste Avi mit dem glosenden, unheilvollen Leuchten seiner Augen, und ihr war, als arbeite hinter dieser jungen Stirn ein viel älterer Verstand, der an Tücke und Boshaftigkeit seinesgleichen suchte.
In dem Lidschlag, als sie schoss, schleuderte sie jemand zu Boden. Haarscharf pfiff der Pfeil an Kjala vorbei und zersplitterte an einem Baum.
Die Luft rauschte aus Avis Lungen.
„Nein!“, krächzte eine Stimme in ihr Ohr. „Du wirst meinen Sohn nicht töten!“
Hände legten sich um ihren Hals und drückten zu.Rowens Gesicht erschien über ihr, verzerrt vor Hass und Schmerz. „Du hast das über uns gebracht!“
„Narr!“, keuchte sie und versuchte, seine Hände zu lösen. In seinem ausgemergelten Körper jedoch steckte sehnige Kraft.
ENDE DER LESEPROBE