Arûbir (Band 3 der Feywind-Saga)

Der dritte Strich mit Feywind und Shnurk - rasant, wendungsreich und mit ein paar Prisen Humor
Erscheinungsjahr: 2020
ISBN: 978-3-949821-08-0
Verlag: HoPe Productions

3Klappentext:

Auf zu neuen Ufern und Abenteuern!

Nach einer Konfrontation mit dem Dämonenfürsten gelangen Feywind und die Gefährten nach Arûbir. Hinter der märchenhaften Fassade dieser Stadt jedoch lauert das Böse

Zudem ist der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe brüchig, denn Valdor Parimar ist sowohl Cassida als auch Shnurk ein Dorn im Auge. Feywinds Hoffnung, dem Westreich in naher Zukunft beistehen zu können, schwindet mehr und mehr.
Reichsverweserin Nalda indes ist auf jede Hilfe angewiesen, da ihre Machtposition alles andere als gefestigt ist. Die Lage erscheint aussichtsloser denn je.

Gefechte, entweder mit Schwert oder beißendem Spott geführt, Magie, Humor und Spannung, all dies eingebettet in eine wundervolle Kulisse – das Abenteuer geht weiter!

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HLeseprobe:

Kapitel 1

Calisp bezwang die letzte Treppenstufe und stützte sich gegen die Wand. Während er Atem schöpfte, wanderte sein Blick zu einem der Gemälde, die diesen Korridor der Schlossburg zierten. Früher hätte ihm die Botschaft gefallen: ein glorreicher Sieg gegen den Feind aus Karathien.
In der Mitte posierte Sarkemia mit zum Himmel gerecktem Schwert, der Stahl befleckt vom Blut erschlagener Gegner, die sich im Wabern dunkler Farben zu ihren Stiefeln türmten. Die Heldin stand erhaben in rotgoldenem Glanz, der aus ihr selbst zu entspringen schien. Hinter ihr wehte – eingerissen, aber trotzdem stolz – ein Banner im Weiß und Blau des Westreichs, während eine Fahne Karathiens schlaff und blutbesprenkelt zwischen den Toten lag wie achtlos weggeworfen. Darauf sah man den schwarzen, sich nach oben verjüngenden Turm, die Spitze eine von Strahlen umkränzte Kugel – das Wappen des Feindes aus dem Süden.
Einst hatte sein Herz im Feuer von Wut und Hass gepocht, sobald er eine Standarte mit diesem Emblem erspähte. Inzwischen regten sich lediglich Erinnerungen, die er lieber begraben wüsste.
Keinen goldenen Glanz hatte es gegeben.
Aber Schreie und Blut, durchstoßene und zerhackte Körper und Chaos, wenn man im von Pferdehufen hochgewirbelten Staub und im Rauch brennenden Kriegsgeräts die Orientierung verlor; wenn man nicht wusste, was geschah; wenn man blindlings hierhin und dorthin schlug, ohne wirklich zu wissen, ob man einen Feind getötet hatte. Oder einen Waffenbruder.
Trotz dieser Schrecken konnte man Ruhm auf dem Schlachtfeld ernten – Ruhm, den der junge Calisp genossen hatte. Seit damals war er ein Held. Heute spürte er nichts mehr von diesem einstigen Hochgefühl. Dafür aber die Schwärze, die mit all diesen Erinnerungen nach oben stieg.
Selbst Sarkemia, die Rettende Klinge, war für ihn weniger lichtbehaftet, als das Gemälde dies andeutete. Eines stand dennoch fest: Ohne Sarkemia hätte das Westreich die Invasion nicht zurückgeschlagen. Ja – eine einzelne Frau hatte den Sieg herbeigeführt. Wie im Wahn hatte sie sich durch die Linien der Karathier gehackt. Noch jetzt sah Calisp den wirbelnden Stahl, hörte ihre Kampfschreie, während sie vorwärts pflügte, ohne einen Gedanken an das eigene Wohl. Bis heute wusste er nicht, ob Heldenmut sie getrieben hatte – oder die finstere Gier nach Blutrache für den Tod ihrer Eltern und drei Geschwister.
Hatten die vielen getöteten Feinde Sarkemia etwas zurückgegeben, das den Verlust aufwog?
„Wahrscheinlich nicht“, murmelte er und ging weiter.
Ein Teil von Sarkemia war mit ihrer Familie gestorben.
Er senkte den Blick zur Lederröhre in der rechten Hand. Das Siegel hatte er aufgebrochen, das Pergament darin gelesen. Da war sie schon, die nächste Herausforderung. Er schnaufte verdrossen. Ein prägendes Merkmal des Westreichs zog sich durch dessen gesamte Geschichte: Es kam niemals zur Ruhe.
Er erreichte den Durchgang zum Balkon, wo der lange Tisch im Schatten des an Stützpfosten befestigten Segeltuchs stand. Feywind hatte diesen Ort gemocht. Nun nutzte Nalda ihn, um sich den Aufgaben zu stellen, die seit Mangdalans hastigem Aufbruch ihr oblagen. Hingebungsvoll, ja verbissen kümmerte sie sich um die Belange des Westreichs und seiner Menschen, als ginge es um die Geschicke Jalnaptras. Dass eine Herrscherin in ihr steckte, eine Königin, hörte sie nicht gern. Aber es war die Wahrheit.
Ein ledernes Stirnband bändigte Naldas helles, glattes Haar, während sie, das Kinn auf die linke Hand gestützt, an der Tafel saß und ein Dokument studierte. Ohne den Blick abzuwenden, griff sie mit der Rechten nach einem Becher und trank. Da Nalda der Hitze wegen ein schlichtes, ärmelloses Wams trug, sah man, dass die Haut des Unterarms immer noch in sanften Blau- und Grüntönen schimmerte – das Vermächtnis der Konfrontation mit Cassida.
Nachdem sie den Becher zurückgestellt hatte, nahm sie einen Federkiel auf, tauchte diesen in ein Tintenfässchen, wartete, bis ein überzähliger Tropfen zurück in die blaue Flüssigkeit fiel, und setzte mit geübtem Schwung eine Zeile aufs Pergament. Anschließend streute sie Löschsand darüber und legte es auf einem Stapel zu ihrer Rechten ab.
Sie wandte den Blick zu weiteren Schriftstücken links von ihr, schnaufte jedoch nur.
Nach kurzer Überlegung griff sie zu einer ledernen Mappe, die ein einzelnes, an den Kanten aufgeworfenes Pergament barg, strich dieses glatt und las, was darauf geschrieben stand. Ein Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. Wenig später legte sie es behutsam zurück in die Mappe und hob die linke Hand vor Augen.
Aufmerksam betrachtete sie den Ringfinger, ehe ein Ausdruck leisen Schmerzes über ihre edlen Züge huschte. Sie schloss die Finger zur Faust, presste die Lippen zusammen, stand auf und begab sich zur Steinbalustrade. Daran lehnte ihr Bogen nebst Köcher. Einige Herzschläge ruhten die Augen auf der Waffe, ehe sie die Hände auf dem Stein abstützte und über die Dächer Wallstadts schaute, dann noch weiter in die Ferne – nach Osten. Ihr sorgenvolles Seufzen drang bis zu Calisp.
Bendarils Auge strahlte in einem wolkenlosen Himmel, der eigentlich in Flammen stehen müsste, so heiß war es heute. Dessen ungeachtet wandte Nalda ihr Gesicht direkt ins Licht und schloss die Augen. Eine Aura der Eleganz umgab sie, das Erbe ihres Volkes. Egal was sie tat, allem haftete eine atemberaubende Grazie und Anmut an.
Calisp stand immer noch, wo er war – aber nicht, weil er weiterhin diesen formvollendeten Anblick genießen wollte. Kein Sehnen nach Fleischeslust rief die Elfenfrau in ihm hervor, sondern das Bestreben, sie zu schützen. Bewahrte er sie vor Unbill, bewahrte er auch das Westreich davor. Nalda war klug und umsichtig – und somit wie geschaffen dafür, ein Land und dessen Bewohner durch unsichere Zeiten zu führen.
Er gewährte ihr einige weitere Momente der Ruhe, ehe er einen mürrischen Blick auf die Röhre warf und sich in Bewegung setzte. Gern hätte er ihr Erholung gegönnt, aber das war ausgeschlossen. Für alle, die dem weiterhin angeschlagenen Reich auf die Beine helfen sollten, war die Last immer neuer Aufgaben zermürbend: Kaum war ein Problem aus der Welt geschafft, tauchten zwei neue auf.
Calisp presste die Lippen zusammen. Aufgeben kam nicht infrage. Seinen Lebensabend hatte er sich dennoch anders vorgestellt: ruhiger, beschaulicher. Dies jedoch lag ebenfalls nicht in seiner Hand: Das Westreich brauchte seine Dienste. Er war bereit, alles dafür zu tun, damit es nicht unterging, sondern erstarkte.
Nalda wandte sich ihm zu. „Calisp“, sagte sie und lächelte. Als sie in sein Gesicht sah, verschwand das Lächeln jedoch so schnell, wie es gekommen war. „Ich glaube, ich will es gar nicht hören.“
„Das ist gut möglich“, sagte er und trat neben sie. Die Hitze traf seine Stirn wie ein frisch geschmiedeter, noch glühender Kriegshammer. Er kniff die Augen zusammen und wandte den Blick zur Seite.
„Sollen wir uns setzen?“
„Das wäre mir lieb.“
Calisp seufzte auf, als er in den Schatten des großen Tuchs trat, und ließ sich Nalda gegenüber an der Tafel nieder.
Er zog ein Tuch aus seiner luftigen Weste und wischte sich Schweißperlen aus dem Gesicht. Den ganzen Tag auf den Beinen, dass abends oft die Oberschenkel und Waden zitterten. Dazu diese Hitze. Früher hätte ihm das nichts ausgemacht. Das Alter war ein Begleiter, dem Calisp wenig abgewann.
Wegen des Wetters hatte er sich sogar den Bart entfernen lassen, was er allerdings bereute: Blickte er jetzt in einen Spiegel, erschrak er über die Falten in seinem Gesicht. Versteckt durch den einstigen Bart, hatten sie sich über die Jahre heimlich und geradezu hinterlistig hineingegraben. Na ja, bis zum Winter wäre er nachgewachsen.
Hör auf, dich zu beschweren! Du musst Stärke ausstrahlen, damit Naldas Entschlossenheit nicht ins Wanken gerät.
„Möchtest du etwas trinken?“, fragte sie.
„Gerne.“
Aus einer Karaffe goss sie Wasser in einen zweiten Becher und reichte ihm diesen.
„Danke, Verehrteste.“
Nalda lachte kurz auf. „Du klingst wie Shnurk.“
„Ich vermisse den schrulligen Burschen.“
„Ich auch.“ Wehmut klang aus ihrer Stimme. „Und die anderen auch. Sogar Feywind.“ Sie schaute nach links, nach Osten. Ein Seufzen.
„Ihnen geht es gut“, sagte Calisp.
„Wollen wir es hoffen.“
„Mangdalan ist ein formidabler Kämpfer.“
„Ich weiß. Aber er ist auch ein Draufgänger. Der Instinkt des Kriegers leitet ihn öfter als Vernunft.“
Deswegen ist es gut, dass nun du alle Entscheidungen triffst, dachte Calisp. Du bist eine bessere Regentin, als Mangdalan es je sein wird.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, öffnete sie die Mappe und zog das Blatt ein zweites Mal hervor. Die Lippen amüsiert gekräuselt, schob sie es zu ihm. „Allein an seiner Schrift erkennt man, dass er mit Verordnungen und Erlassen nichts zu schaffen haben will.“
Calisp kannte das Dokument auswendig – schließlich hatte er es Mangdalan in die Feder diktiert: die Verfügung, die Nalda zur Reichsverweserin erhoben hatte. Trotzdem schaute er es an, ihr zuliebe.
„Sieh nur, wie er seinen Namen schreibt“, sagte sie und lachte. „Das M sieht aus wie eine Kralle, wild und ungestüm. Auch beim Rest könnte man meinen, er hätte ein Messer geführt, keinen Federkiel. Sein Geist will frei sein. Er erträgt es nicht, wenn er gefangen ist.“ Ein Hauch von Kummer wehte über ihre Züge. „Es ist schrecklich, wie sehr ich ihn liebe. Falls ihm etwas zustößt …“ Sie schüttelte den Kopf und ballte die Fäuste. Für einen Moment schien es, als stiegen Tränen hoch, doch ein einziges hartes Blinzeln drängte sie zurück in jene Gefilde, die Nalda nicht zeigen wollte.
Calisp schwor sich, dass er Nalda, falls nötig, mit seinem Leben beschützen würde. Sie entstammte der Blutlinie von Königen. Bei manchen Herrschern war dieses Blut dünnflüssig, fast wie Wasser. Durch ihre Adern jedoch rauschte es heiß wie das Feuer brennender Wälder. Solch ein Feuer brauchte man, wollte man einem Reich zu alter Größe verhelfen. Eine Elfe, die ein Menschenreich rettete – ihm gefiel diese Vorstellung.
Den westreichischen Fürsten höchstwahrscheinlich weniger …
„Als er mir unterbreitete“, sagte Nalda, „er werde Feywind ins Ostreich begleiten, habe ich nur genickt. Ich wollte nicht, dass er meinen Schmerz sieht, weil er geht. Immer abgeklärt, immer besonnen – genau das erwartet man von mir. Ich hasse es.“
„Ich weiß.“
Und genauso weiß ich, dass du stark bleiben wirst.
Er legte die Röhre auf den Tisch. „Trotzdem dürfen wir nicht nachlassen.“
„Um was geht es?“
„Einer der Fürsten kündigt sich an.“
Nalda atmete tief durch, schüttelte den Kopf. „Kaum ist Latima ten Traduvik ein paar Tage fort, schon geht es weiter. Kaum haben wir es geschafft, der ostreichischen Delegation eine Geschichte aufzutischen, die Mangdalans plötzliches Verschwinden glaubhaft machen soll, schon dürfen wir uns erneut etwas überlegen.“
„Wir werden einfach die Wahrheit erzählen: Mangdalan ist mit einigen Getreuen ins Ostreich gezogen, um eine Gefahr abzuwenden.“
„Wenn du es sagst.“ Nalda nahm Mangdalans Schreiben an sich, legte es zurück in die Mappe und schloss sie. „Ich hoffe, die Fürsten werden dieses Dekret akzeptieren.“
Calisp ließ sich zu einem Lachen hinreißen. „Das bezweifle ich.“
„Ich auch.“
„Aber vergiss nicht: In den Augen der Westreicher bist du eine Heldin. Zudem bist du Mangdalans Frau. Die Soldaten stehen zu dir. Das ist wichtiger als auf Pergament gekritzelte Worte.“
„Ich weiß nicht …“
„Keine Verzagtheit, Nalda. Wir müssen entschlossen auftreten. Wir müssen zeigen, wer das Sagen hat, um Aufwiegelei im Keim zu ersticken. Schwäche ist ein guter Nährboden für Machthunger. Stärke nicht.“
Nalda nickte, ehe sich ihre Augen auf die Röhre hefteten. „Welcher Fürst ist es?“
„Yurik von Blandigen.“
„Blandigen sagt mir etwas“, murmelte sie, „Yurik hingegen nicht.“
„Sein Vater Frendis von Blandigen starb kurz nach dem Zerschlagen der Inquisition an Fallsucht. Er ertrank in seinem eigenen Badezuber. So zumindest sagt man …“
Naldas fein geschwungene Brauen rutschten nach oben. „Der Sohn hat nachgeholfen?“
„Alles nur Gerüchte. Die gibt es aber immer, sobald ein mächtiger Fürst stirbt. Jedenfalls war Frendis jemand, der nachdachte, bevor er handelte. Sein Alter hat ihm die Zähne gezogen, die er früher hatte – im doppelten Sinn.“
Nalda schnaubte ein Lachen. „Einem altersmilden Herrscher ist also ein hungriger Sohn gefolgt – der seine Zähne gerne zeigen würde.“
Calisp nickte. „So könnte man es ausdrücken.“
„Um die Sache schwieriger zu machen, als sie ohnehin ist, nehme ich an, dass Blandigen eines der größten Fürstentümer ist. Viel Macht, viele Soldaten.“
„Ganz richtig, o weise Regentin.“
„Calisp, bitte.“ Nalda lehnte sich im Stuhl zurück. Einige Herzschläge lang ging ihr Blick ins Leere, ehe sie sich wieder aufrichtete. „Was schlägst du vor?“
„Wie ich bereits gesagt habe: Stärke zeigen. Glaubt man dem, was über Yurik erzählt wird, erwartet uns ein junger Heißsporn. Dem müssen wir von Beginn an den Zahn ziehen.“
„Schon wieder Zähne.“ Ein sanftes Lächeln flatterte um ihre Mundwinkel. „Fürchtest du um die deinen, Calisp?“
„Bei allen Dingen, die mir das Alter bereits nahm – mein Gebiss hat es zum Glück verschont.“
„Was nicht ist, kann ja noch werden“, sagte Nalda und lachte, bevor sie abwinkte und wieder eine ernstere Miene aufsetzte. „Wir müssen Yurik beeindrucken. Lass uns die Garnison der Schlossburg verstärken. An die Wände kommen weniger Gobelins, dafür mehr Zierwaffen. Mangdalans Übungsgestell für den Schwertkampf bleibt im Audienzsaal. Sobald Yurik da ist, werde ich es mit Schlägen eindecken.“
Mit dem Kinn deutete Calisp auf Naldas rechten Arm. „Dein Auftritt könnte an Imposanz einbüßen, falls bei einem zu forschen Hieb Elle und Speiche erneut brechen.“
„Ein paar spektakuläre Schwünge bekomme ich mit links hin.“
Calisp lachte. „Welch Wortspiel!“ Nachdem er noch ein paarmal gegluckst hatte, richtete er den Blick auf die schwindenden Blutergüsse auf ihrem Unterarm. „Was ist mit deiner Schiene? Trägst du sie gar nicht mehr?“
„Behindert mich beim Schreiben. Außerdem verheilt der Arm gut. Morgen kommt Dermion und wirkt einen weiteren Heilzauber, selbst wenn das nicht zu seinen Paradedisziplinen zählt.“ Sie schaute zum Dokumentstapel rechts von ihr. „In dem Pergamentberg liegen die letzten Erlasse, die Feywind für den Wiederaufbau der Magierakademien aufgesetzt hat. Wegen seines raschen Aufbruchs ins Ostreich war vieles nur grob umrissen. Aber es hat genügt, damit ich es vervollständigen konnte.“ Sie seufzte erleichtert. „Zumindest diese Aufgabe ist somit erledigt.“
„Das wird Dermion freuen.“
„Darob hege ich Zweifel“, entgegnete Nalda. „Der Arme wird immer magerer, weil er vor lauter Arbeit nicht zur Ruhe kommt. Morgen nach dem Heilzauber werde ich ihm – als kleines Dankeschön – die Erlasse in die Hand drücken, damit er diese rasch umsetzt.“
„Wie großherzig.“
Nalda stemmte die Hände auf die Platte der Tafel. „So bin ich eben.“ Ein schwaches Lächeln. „Vergib mir. Die Situation ist viel zu ernst für flache Scherze.“
„Das stimmt. Dennoch sollten wir nicht vergessen, ab und an zu lachen.“
Sie nickte. „Auf jeden Fall ist Dermion ein guter Mann. Von seinem Schlag haben wir zu wenige. Wir brauchen mehr! Wer soll all diese Aufgaben stemmen?“ Sie erhob sich und ging zur Balustrade.
„Ich weiß“, murmelte Calisp. Es gab viel, das im Argen lag: Der Hauptgrund bestand nicht einmal darin, dass vielerorts die Männer fehlten, weil sie im Inquisitionskrieg gefallen waren: Westreichische Frauen waren stark und konnten ein Feld genauso bearbeiten wie ein Mann. Das Gleiche galt für viele andere Tätigkeiten wie Jagen, Schreinern oder Gerben. Einige verstanden sich sogar aufs Schmieden. Nur konnten sie sich nicht gleichzeitig um den Nachwuchs kümmern oder – noch schlimmer – obendrein um den Ehemann, der den Krieg zwar überlegt hatte, aber nun ein Krüppel war. Sie brauchten Unterstützung, sonst würden im Winter Heerscharen von Witwen und Waisen in Wallstadt einfallen.
Ein weiteres Problem stellten Soldaten dar, die am Geisterschreck litten und somit ihren Dienst nicht mehr verrichten konnten. Dem Volksmund nach suchten die Geister der Toten sie heim und machten aus ehemals unerschrockenen Männern von Albträumen geplagte Kreaturen, die sich sogar vor dem eigenen Schatten fürchteten. Kümmerte man sich nicht um diese Männer, züchtete man Horden von Bettlern, Wegelagerern und Räubern heran.
Trotzdem musste man auch sehen – und sich daran erfreuen –, was bereits besser funktionierte. Ein Beispiel hierfür war der Wiederaufbau der magischen Zunft. Natürlich ging es schleppend voran – viel schleppender zumindest, als nötig wäre. Erst seit ein paar Tagen lief die Ausbildung von Lehrlingen. Die von Mangdalan geforderten Kampfmagier würden somit auf sich warten lassen.
Aber: Es gestaltete sich verheißungsvoller als anfangs. Feywinds Ideen bildeten das Grundgerüst. Nun musste man dieses auskleiden.
„Calisp?“ Eine Hand wedelte vor seinem Gesicht herum.
„Wie?“
Nalda stand vor ihm, Köcher auf dem Rücken, Bogen in der rechten Hand. „Einen Moment trug ich Sorge, dein Gehirn wäre der Hitze wegen verdampft.“
Mit einem unterdrückten Stöhnen stand er auf. „Abgesehen von meinem Gebiss, leistet auch mein Kopf weiterhin gute Dienste. Vom Rest sprechen wir einfach nicht.“
Lachend strebte Nalda an ihm vorbei, blieb jedoch abrupt stehen und drehte sich herum. „Das Schreiben dieses Yurik von Blandigen – steht darin irgendetwas, das ich noch wissen müsste? Zum Beispiel der Grund für seinen Besuch?“
„Nein. Er möchte lediglich dem geschätzten Reichsverweser seine Aufwartung machen.“ Er sah sie an. „Was willst du eigentlich mit dem Bogen?“
„Ich denke, es wäre das Beste, Yurik von Blandigen aus dem Sattel zu schießen, sobald er hier aufkreuzt.“ Sie erreichte den Durchgang, der vom Balkon in die Schlossburg führte, und blieb abermals stehen. Über die Schulter blickend, ihre Miene arglos, sagte sie: „Wäre doch ein Beweis von Stärke, oder nicht? Danach kommt kein anderer Fürst mehr auf die Idee, mir auf den Zahn zu fühlen.“ Sie zwinkerte.
Er folgte ihr. „Ganz hervorragende Idee!“

***

„Nelma Abbal!“, knurrte Nalda, als der Pfeil rechts unten in die aus Stroh gefertigte Zielscheibe schlug. „Das kann ich vergessen.“
„Was denn?“, rief Calisp, der auf der Bank im Burggarten saß und Nalda zuschaute. Vernünftigerweise hatte sie die Lederschiene angelegt, die den rechten Unterarm stützte. Ihr ärmelloses Wams trug sie weiterhin. Nur die Leinenhose hatte sie gegen einen Kampfrock mit Lederstreifen getauscht, die Sandalen gegen kurze Stiefel.
„Na, dass ich Yurik aus dem Sattel schieße!“ Sie lachte, doch Calisp hörte den zornigen Unterton. Forsch zog sie einen weiteren Pfeil aus dem Köcher und legte ihn in einer fließenden Bewegung auf.
Der Schaft rutschte in ihren Fingern, sodass die Kerbe von der Sehne sprang.
Die Lippen zusammengepresst, starrte sie auf den Bogen, als könnte sie nicht fassen, was passiert war. Als der Pfeil wieder auflag und Nalda die Sehne zurückzog, traten die Kaumuskeln hervor, so fest presste sie die Kiefer aufeinander. Die Verletzung bereitete ihr Schmerzen, aber das scherte sie offenbar nicht. Als die Fiederung des Pfeils an der rechten Wange lag, atmete sie ein und ließ die Luft langsam entweichen.
Der Pfeil zischte durch die Luft und versank tief in der Zielscheibe, die in ungefähr dreißig Schritt Entfernung im Schatten einer hohen Mauer stand. Der Trauerweide sei Dank, befand sich auch Calisp im Schatten. Warm war ihm trotzdem, denn die Hitze wallte bis in den dunklen Kreis am Boden, den die Äste der Trauerweide zeichneten. Heiß strömte sie vom verdorrten Gras unter seinen Schuhen bis in die Hosenbeine.
„Na also!“, rief Nalda. Sie stand direkt in der Glut, die vom Himmel herabbrannte. Bereits nach diesen zwei Schüssen glitzerten Schweißperlen auf der Haut ihrer Arme. Davon ließ sie sich jedoch nicht beirren. Erneut hob sie den Bogen, zog die Sehne zurück – und brach die Bewegung mit einem unterdrückten Schrei ab. Sie legte Pfeil und Bogen ab und drückte den rechten Unterarm gegen den Körper.
Calisp stand auf. „Was ist passiert?“
Mit der anderen Hand winkte sie ab. „Halb so schlimm.“ Verärgert sah sie auf die rechte Hand, bewegte dann die Finger. „Es geht schon.“ Sie stapfte zur Zielscheibe und riss die beiden Pfeile heraus, kam zurück und stopfte sie mit grimmiger Miene in den Köcher.
Calisp nahm wieder Platz. Unter dem Stoff seiner dünnen Hose rann ihm der Schweiß die Unterschenkel hinab. „Das wird schon wieder. Zügle dein Ungestüm.“
Nalda reagierte nicht auf seine Worte. Stattdessen schnappte sie ihre Schwertscheide, die an der Treppe zur Mauer lehnte. Mit der linken Hand packte sie den Griff, riss die Klinge heraus. Hell gleißte der Stahl auf. Die Scheide warf sie neben die Zielscheibe. Nachdem sie sich einige Schritte davon entfernt hatte, führte sie die Klinge durch ein paar verhaltene Schwünge.
„Sieht gar nicht schlecht aus!“
Erzürnt schaute Nalda ihn an. „Hör auf, mir den Bauch zu pinseln! Was ich hier zur Schau stellte, ist erbärmlich, sonst gar nichts!“
Glucksend schüttelte Calisp den Kopf. Heißer noch als Bendarils Glast war das Blut der Könige, das durch ihre Adern rauschte. Eine Niederlage konnte die stolze Elfe nicht akzeptieren. Und das war gut! Obwohl er Naldas Ärger verstand, erachtete er es inzwischen als glückliche Fügung, dass Cassida ihr den Unterarm gebrochen hatte. Sonst hätte sie Mangdalan begleitet.
Nalda wechselte die Hand und schwang das Schwert noch vorsichtiger. Sie wirkte konzentriert, ja verbissen, während sie Geschwindigkeit und Komplexität der Angriffsmuster erhöhte. Pfeifend zerteilte das blitzende Zickzack die Luft. Im selben Maß, wie sie immer heftiger schwitzte, wich die Anspannung aus ihrer Miene – aber nur, bis sie einen vor dem Körper ausgeführten Kreisschwung zu tief ansetzte. Die Schwertspitze riss eine schmale Furche ins trockene Erdreich.
Staub und ein paar verkümmerte Grashalme stoben auf.
Die Erschütterung ließ Nalda keuchen. Der Schwertgriff entglitt ihrer Hand. In einer getreulichen Wiederholung der Szene von vorhin, umklammerte sie den Unterarm und drückte ihn gegen die Brust. Sie schnaufte schwer, wirkte ein bisschen blass, ehe sie tief durchatmete, zu Calisp kam und neben ihm auf die Bank plumpste.
„Alles in Ordnung?“
Sie nickte knapp.
„Manches kann man nicht erzwingen.“
„Es regt mich auf.“
„Wenn du nicht Acht gibst, riskierst du, dass der Arm abermals …“
„Ich weiß!“, schnaubte sie. Schweiß tropfte vom Kinn auf den Boden. „Ich hoffe, dass Mangdalan und Feywind wegen dieses Miststücks nicht zu viel aufs Spiel setzen.“
„Cassida untersteht der Kontrolle eines mächtigen Zauberers.“
„Ist mir bewusst.“
„Sie kann nichts dafür, dass …“
Mit einem halben Sprung erhob Nalda sich, las das Schwert auf und steckte es zurück in die Scheide, ehe sie diese um die Hüfte gürtete. Dann nahm sie Köcher und Bogen. „Ich gehe mich waschen.“
„Tu das. Ich werde mich auf meine Kammer begeben und kurz ruhen.“
„Ja, erhol dich.“
„Wir haben Gäste zum Abendmahl, vergiss das nicht.“
Naldas Gesicht verfinsterte sich. „Stimmt. Wer war das gleich?“
„Der Stadthalter von Ergenfurt und dessen Hafenmeister. Sie erbitten Gold, um …“
„Ich erinnere mich.“ Sie stierte auf ihren Bogen, als überlegte sie, das, was sie im Scherz über Yurik von Blandigen gesagt hatte, bei den Ergenfurtern in die Tat umzusetzen. „Alle flehen um Unterstützung. Wie soll das gehen? Wir haben dieses Gold nicht!“
Calisp erhob sich und schaute Nalda in die blauen, verengten Augen. „Das musst du ihnen schonend beibringen. Außerdem bitte ich dich zu bedenken, dass unsere Kriegsflotte den Berichten des Stadthalters zufolge auf den Helligen zu grünem Moder verrottet. Das sollte nicht sein. Ergenfurt muss erstarken.“
Sie atmete durch, das Funkeln ihrer Augen verlor an Intensität. „Die ganze Kriegsflotte auf Vordermann zu bringen, ist unmöglich.“
„Stell ihnen die Reparatur von ein paar Schiffen in Aussicht.“
„Ich werde darüber nachdenken. Wir sehen uns spät…“
„Reichsverweserin Nalda!“, ertönte ein Ruf.
Padim kam herbeigerannt, Feywinds Laufbursche und Bote, der diese Pflicht nun für Nalda wahrnahm. Sein Gesicht glühte vor Anstrengung so rot, dass dadurch die Sommersprossen unsichtbar geworden waren. Vor Nalda bremste er ab, riss den Mund auf. Statt etwas zu sagen, beugte er sich jedoch nach vorne, stützte die Hände auf die Knie und schlang Luft ein.
Nalda zog eine Augenbraue hoch. „Steht König Brenden vor den Toren Wallstadts, um seine Kapitulation zu verkünden?“
Calisp war nicht nach frivolen Sprüchen zumute, da Padim zwei Wachsoldaten hinterherhetzten, die nicht minder außer Atem waren als der feuerköpfige Jungspund. Etwas Ungewöhnliches war passiert.
Oder etwas Schlimmes.
Nalda sah Calisp an. Ihr Gesicht wurde ernst. „Nun beruhig dich, Padim. Was ist denn geschehen?“
Padim sah auf und wischte ein paar rotblonde Haarsträhnen beiseite, die auf seiner verschwitzten Stirn klebten. „Nicht Brenden“, keuchte er. „Sondern seine Gesandte.“
Naldas Augen weiteten sich. „Latima ten Traduvik?“
Hektisches Nicken, wobei ihm ein Schweißtropfen von der Stirn sprang und vor Naldas Stiefeln landete.
„Was … was will sie denn?“
Die beiden Wachsoldaten trafen ein. Ihr Atem pfiff ebenfalls, als heulte Wind durch die Spalten einer schlecht eingepassten Tür.
„Meine … Reichsverweserin!“, schnaufte einer. „Latima ten …“
'Einhalt gebietend hob Nalda die Hand. „Nicht alle durcheinanderreden. Padim, sag, was geschehen ist.“
„Latima ten Traduvik erfleht … Eure Gnade und Obhut.“
„Gnade?“ Verwundert sah Nalda zu Calisp.
Calisp konnte lediglich mit den Schultern zucken und genauso verwundert zurückschauen.

Kapitel 2

Feywind drückte die Klinge seines Elfenschwerts fester gegen den Hals seines Gegenübers. „Ein letztes Mal, Parimar – löst den Kontrollzauber.“ Ein Schnitt, und die Halsschlagader wäre durchtrennt. Er würde in Windeseile verbluten. „Ihr wisst, dass Euer Ableben den Zauber ebenfalls beendet. Somit liegt die Wahl bei Euch.“ Er hoffte, eine Drohung reichte aus, denn dass der ostreichische Meistermagier sich unerwarteterweise in seiner Gewalt befand, könnte sich sogar als nützlich erweisen. Wie genau, das würde sich zeigen. Sollte sich Parimar allerdings weigern, Cassida freizugeben …
Ein kleiner, in die Ecke gedrängter Teil seines Ichs war entsetzt darüber, dass er bereit war, Parimar in diesem Fall tatsächlich ohne viel Federlesens umzubringen. Lag es an der Umgebung, an der düsteren Aura dieser Welt? Daran, dass er vor kurzem Demoshidos Seelenkette benutzt hatte, deren Schwärze sich so gierig auf die Seele des Beschwörers übertrug? Oder war er inzwischen abgestumpft? Oder einfach zu versessen darauf, die eigenen Ziele zu erreichen – koste es, was es wolle?
Parimar leckte sich über die Lippen. „Ich weiß nicht, was passiert, sobald ich den Kontrollzauber fahren lasse. Cassida könnte ein Blutbad anrichten oder …“
„Der Einzige“, knurrte Mangdalan, „der gleich ein Blutbad anrichtet, bin ich.“ Er verkürzte die Distanz zu Parimar. Seine rechte Hand umkrallte das Heft seines Schwerts, die linke war zur Faust geballt. „Soll ich dir die Nase zu Brei hauen?“
Panisch schüttelte Parimar den Kopf.
„Dann los!“
„Ja!“, krakeelte Shnurk, der über ihnen flatterte und die Umgebung beobachtete. „Hört mit dem Palavern auf! Wir sind – mal wieder – mitten in einer Schlacht gelandet!“
Als benötigte Shnurks Einschätzung einen Beweis, stürzte ein Flugdämon aus dem Himmel. Es krachte schrecklich, die ganze Kreatur verformte sich und platzte auf. Dunkle Flüssigkeit spritzte auf den hellen Boden, über den Staubspiralen tanzten. Der Geruch war widerwärtig.
„Wie grässlich!“ Kaum hatten die Worte Parimars Lippen passiert, da folgte sein Mageninhalt. Nachdem der Schwall aus seinem Mund geschossen war, stand er weiterhin vornübergebeugt, spuckte ein paarmal auf den Boden und stöhnte leise.
Dieses Stöhnen schraubte sich zu einem erstickten Schrei empor, da Mangdalan die Finger in Parimars Haar grub und ihn in die Höhe riss. „Los jetzt!“
Wie eine Puppe hing er in Mangdalans Pranke, die Augen von aufsteigenden Tränen gerötet, das Gesicht vor Erschöpfung und Schmerz grau wie Blei. Trotzdem bewegte er die Lippen, vollführte dann eine schneidende Bewegung mit der rechten Hand.
Im nächsten Moment floss ein Seufzen über Cassidas Lippen, und sie brach in die Knie.
„Eine Schar dieser Biester kommt näher!“, rief Shnurk. „Sieht fast so aus, als wüssten sie, wo wir stecken!“ Gelbe, sorgenvoll geweitete Augen richteten sich auf Feywind. „Wie kann das sein? Der Asbizar ist doch zerstört!“
Feywind schaute hoch. „Wie das sein kann? Vielleicht“ – den nun folgenden Teil des Satzes schrie er – „weil du gut sichtbar da oben herumflatterst?“
Shnurk stellte eine betroffene Miene zur Schau, ehe er zu ihnen herabglitt und mit scharrenden Krallen aufsetzte. „Ich gebe zu, das entbehrt nicht einer gewissen Logik.“
Feywind schnaubte und schritt zu Cass, die weiterhin am Boden kniete. Hinter ihr ragte ein seltsam verdrehtes Steingebilde auf, als wäre es einst geschmolzen und in dieser verwrungenen Pose erstarrt. Entfernt erinnerte es an ein zermalmtes Schneckenhaus. Ähnliche Gebilde umzirkelten das weite Rund, auf dem sie sich befanden.
Als er sich zu Cass hinabbeugte, schaute sie auf. Hell strahlten ihre smaragdgrünen Augen, hell und wach. Ein menschlicher Geist wohnte hinter dem grünen Leuchten, nicht die gedämpfte Wahrnehmung einer Marionette. Matt glomm lediglich die von Flugrost überhauchte Eisenschelle am Hals.
Ihr Blick zuckte an Feywind vorbei. Ein kaltes Glitzern überzog das tiefe Grün. Ruckartig sprang sie auf die Füße – und preschte los, ihr Ziel Valdor Parimar.
Feywind griff nach ihr, verfehlte sie jedoch.
Hektisch stieß Parimar den Zeigefinger in ihre Richtung. „Was habe ich gesagt? Was habe ich gesagt? Sie will ein Blutbad anrichten!“ Er versteckte sich hinter Mangdalan.
„Lass das! Für Rache ist später Zeit!“, brüllte Mangdalan.
Die Worte ignorierend, streckte Cass die Arme aus und wollte sich auf Parimar stürzen.
Da Mangdalan mit der rechten Hand weiterhin sein Schwert umfasste, blieb ihm nur die linke, um sie aufzuhalten. Aber das tat er kompromisslos: Die Finger krallten sich in den Kragen von Cassidas Oberhemd. Mit einem Ruck schleuderte er sie zur Seite.
Sie stolperte, fing sich jedoch und wirbelte herum. Als wollte sie Pflaumen zu Mus zerquetschen, öffnete und schloss sie die Fäuste.
„Hör mit diesem Blödsinn auf!“ Dick traten die Adern an Mangdalans Hals hervor, wie Taue, die Kopf und Körper verbanden. „Was wir mit dieser Jammergestalt machen, entscheiden wir später.“ Er setzte einen Schritt auf Cass zu. „Hast du das verstanden?“
Die Fäuste schlossen und öffneten sich ein letztes Mal. Dann nickte sie knapp, ließ Parimar jedoch nicht aus den Augen. Selbiger spitzte weiterhin an Mangdalan vorbei.
„Macht euch bereit zum Kampf.“ Mangdalan entfernte sich von Parimar und schwang sein Schwert auf und ab, lockerte dadurch Arme und Schultern. Dann ließ er das Handgelenk kreisen. Das Schwertblatt verwischte vor seinem Körper zu einem hellen, schimmernden Kreis aus Stahl. Parimar tapste ihm nach. Sein schreckerfüllter Blick haftete jedoch weiterhin an Cass. Daher prallte er von hinten gegen Mangdalan, der stehengeblieben war, um mit Tyon zu reden. Erzürnt drehte Mangdalan sich herum, packte Parimar wie kurz zuvor Cass – und schubste ihn von sich. Parimar reagierte unbeholfener darauf und landete im Staub.
„Du musst Ruhe bewahren“, sagte Mangdalan zu Tyon. „Verlier nicht den Kopf. Wir sind nicht mehr in unserer Welt, das stimmt. Aber kämpfen kann man auch hier.“
Tyon, blass im Gesicht, nickte tapfer. Sein Blick jedoch verirrte sich immer wieder zu dem zerschmetterten Flugdämon.
„Sie sterben wie alle anderen Lebewesen auch.“
Wieder nickte Tyon.
„Bleib an meiner Seite. Wir decken uns gegenseitig. Haben wir bereits dutzende Male geübt, nicht wahr?“
„Haben wir“, murmelte Tyon.
Mangdalan legte ihm die Hand auf die Schulter. „Die paar Dämonen stutzen wir schon zurecht, keine Sorge.“
Ganz teilte Feywind Mangdalans Einschätzung der Lage nicht. Die Anspannung wuchs, er kannte das inzwischen. Doch das Rasen seines Herzens erstickte ihn nicht, weil es im Hals zu stecken schien; sein Atem floss schneller, aber gleichmäßig. Er war gewappnet, von Panik jedoch weit entfernt. Ein gutes Stück weit lag dies an dem Umstand, dass er keinen Asbizar mit sich führte. Parimars Kampfzauber bei der Ruine hatte ihn zerstört, wodurch die Gefahr gebannt war, dass seine Magie Dämonen anlockte.
Trotzdem würde es schwierig genug werden, am Leben zu bleiben.
Schon liefen die ersten Dämonen am seltsam verrenkten Steingebilde vorbei. Vier waren es, aufrecht gehend, schwarze Dornenrüstungen, gezackte Schwerter. In den Sehschlitzen der mit dem Schädel verwachsenen Helme glühten zwei rote Punkte.
Mangdalan wartete. Die Arme angewinkelt, hielt er sein Schwert beidhändig umfasst nahe der rechten Schulter, sodass die Klinge steil nach oben ragte. „Kommt nur, ihr Ausgeburten!“
Feywind erinnerte sich, wie zerschlagen und ermattet sein Freund nach der großen Feldschlacht gewesen war. Auch das Scharmützel gegen die Karathier bei der Ruine hatte bestimmt an seinen Kräften gezehrt. Aber da stand er, bereit, sich abermals in einen Kampf auf Leben und Tod zu stürzen.
Feywind hielt sich hinter Mangdalan und Tyon. Zu kümmerlich war seine Magie, zu armselig seine körperliche Belastbarkeit. Statt den beiden zu helfen, würde er sie viel eher behindern. Parimar war ebenfalls keine Unterstützung: Halb angewidert, halb panisch vom Anblick der nahenden Feinde, krabbelte er gerade davon.
Cass eilte zu ihm – und trieb ihm die rechte Stiefelspitze in den Bauch. Ein Schrei, und er lag da wie eine zertretene Fliege.
Ein weiterer Schrei – aber nicht vor Schmerz, sondern Kampfeswut. Mangdalans Klinge jagte herab. Der erste Dämon wollte sie blocken. Eine dumme Idee. Seine eigene Klinge splitterte. Vom Aufprall kaum gebremst, erwischte Mangdalans Stahl den Hals, glitt einfach hindurch. Der Kopf des Dämons prallte auf den Boden, der Körper folgte. Braunschwarze Flüssigkeit schoss aus dem Stumpf wie Lampenöl.
Den nächsten Dämon erledigte Tyon mit einem kraftvollen Schwung. Die Rüstung des Gegners platzte auf, dunkles Blut gischtete hervor. Ein zweiter Hieb spaltete den Helm.
„Da siehst du es!“ brüllte Mangdalan. „Westreichischer Stahl wirkt überall!“
Tyon nickte grimmig. Sein erster Sieg gegen einen Dämon, dazu Mangdalans Nähe: Sein Herz hatte sich aus der Umklammerung der Furcht befreit.
„Ja! Gut so!“, rief Shnurk und hopste zu Feywind. „Sobald die erledigt sind, machen wir uns aus dem Staub.“
„Abwarten. Ich habe schon zu viele unschöne Überraschungen erlebt.“ Er warf Shnurk einen Blick zu. „Du könntest die Gegend erkunden, damit wir wissen, wie die Lage ist.“
„Ich dachte, dass ich dadurch unsere Position verrate.“
„Nicht, wenn du dich weit genug entfernst – und niedrig fliegst. Los jetzt.“
Bange schaute Shnurk in den orangefarbenen Himmel, der das Firmament so eintönig überzog wie eine lustlos gefärbte Stoffbahn.
„Die Flugdämonen kriegen dich schon nicht“, sagte Feywind, als Mangdalan gerade den nächsten Dämon erschlug.
Shnurk spreizte den linken Flügel. Zwar waren die von Parimars Feuerkugeln gerissenen Löcher kleiner geworden, aber noch zu erkennen. „Die vollkommene Kunstfertigkeit meiner Manöver ist weiterhin eingeschränkt.“
„Schwing dich von dannen und jammere nicht herum.“
„Pah!“ Eine Zwillingsflamme stob aus Shnurks Nasenlöchern, dann gewann er mit ein paar angestrengten Flügelschlägen an Höhe.
Tyon hackte dem letzten Dämon den Arm ab. Zeitgleich zerschmetterte Mangdalans Klinge dessen Brustkorb.
Mangdalan nickte Tyon zu. „Gut gemacht!“ Nach einem letzten prüfenden Blick in alle Richtungen senkte er seine Waffe und wandte sich Feywind zu. „Du hattest recht mit dem, was du während der Vorbereitungen bei der Ruine sagtest: Allzu viele Dämonen sind es gar nicht.“
„Das Fehlen des Asbizars ist – zumindest, was diesen speziellen Fall betrifft – in der Tat ein Vorteil. Trotzdem sind wir in großer Gefahr.“
Mangdalan schnaufte und blickte kurz zu Boden. „Wäre ja auch seltsam, wenn dem nicht so wäre.“ Als er wieder aufsah, lag Kummer in seinen Augen. „Verdammt, wenn ich daran denke, wie viele gute Leute wir verloren haben … Ich hatte wirklich gedacht, ich könnte Brenden erledigen, das Ostreich dadurch ins Chaos stürzen und unserem Land Zeit erkaufen. Karathien …“ Verärgert spuckte er aus. „Brenden ist sich für nichts zu schade.“
„Ja, wir hatten bittere Momente.“ Stellvertretend für die Gesamtheit ihrer Verluste dachte Feywind an Arlona. Zu schwer verletzt, um vor den Verfolgern zu fliehen, ließ Mangdalan sie zurück. Sie verstand dies und fügte sich in ihr Schicksal. Inzwischen war sie längst gestorben – so, wie die meisten der einst stolzen Schar. Feywind seufzte, ehe er sich gegen den Ansturm von Resignation und Trauer wappnete. Viel zu oft hatte er sich diesen dunklen Regungen hingegeben, die aus dem, was vor ihm lag, ein Tal der Verzweiflung schufen.
„Nicht aufgeben“, wisperte er.
Im selben Moment runzelte Mangdalan die Stirn und schaute auf den Ring an seinem Finger. „Ich spüre das Gegenstück, wenn auch nur leicht.“ Ein kurzes Zucken von Wehmut im Gesicht. „Wie es aussieht, nähert sich dein Freund.“
„Methalenos“, sagte Feywind. „Das ist gut.“
„Macht euch bereit!“, erschallte es.
Die Flügel angelegt, jagte Shnurk aus dem Himmel herab wie ein dunkles Hagelkorn, wurde größer und größer – aber nicht so groß wie die Kreatur, die ihn verfolgte!
Kurz vor dem Boden breitete er die Flügel aus und jagte an ihnen vorbei. Staub brauste auf.
Feywind sprang zur Seite, denn der Flugdämon streckte die Fußklauen, prallte auf, schlitterte. Parimar, der sich gerade hatte erheben wollen, warf sich flach hin, gleich einem reuigen Sünder, und kreischte seine Todesangst in den Boden. Er hatte Glück: Haarscharf zischte der Schwanz des Untiers über ihn hinweg, doch sofort wirbelte es herum. Die glosenden Augen in dem wie eine Speerspitze geformten Schädel erfassten nun Feywind.
„Es kommen noch mehr!“, schrie Shnurk, der abermals vorbeiflog.
Feywind kannte die Gefährlichkeit dieser Flugdämonen bereits. Es war dieselbe Rasse, die Nalda und ihn seinerzeit beinahe erledigt hätte: ein massives, bullenstarkes Vieh, Schwanz und zahnbewehrtes Maul tödliche Waffen. Er hob sein Schwert, schluckte trocken. „Wie viele sind es denn?“, rief er Shnurk zu, der einen Bogen beschrieb und ihn abermals im Tiefflug passierte.
„Mehr als zwei Dutzend!“
Mangdalan nahm die Aussage ungerührt hin. „Wir töten sie einfach alle.“
Wie kann das sein?, wirbelte es durch Feywinds Kopf. Wir führen keinen Asbizar mit uns. Wie finden diese Ausgeburten uns nur?Die Antwort erhielt er in Form eines brennenden Schmerzes. Er raffte den Ärmel zurück: Das Siegel des Dämons glomm düsterrot. „R’aal Sardash! Der Fürst ist in der Nähe!“
Mangdalan presste die Lippen zusammen. „Jetzt wird es langsam zu viel des Guten.“
Feywind sah zu Cass, die den Flugdämon nicht aus den Augen ließ. Für den Moment schien sie Parimar vergessen zu haben. „Mangdalan, nimm ihr die Halsschelle ab.“
„Nein.“
„Wir brauchen ihre Kampfkraft!“
Der Flugdämon spreizte die Schwingen – und sprang. Der mächtige Satz überwand die Distanz in der Dauer eines Wimpernschlags. Feywind wich zurück – gerade rechtzeitig, damit das vorschnellende Maul ihm nicht den Kopf abriss. Eine Armlänge vor seinem Gesicht schnappten die Kiefer zu. Der faulige Atem des Viehs war dennoch wie ein Schlag.
Ohne zu zögern, hieb Mangdalan zu. Ein helles Singen, als die Klinge von einer der Panzerplatten abprallte. Statt sich zu wundern oder innezuhalten, nutzte Mangdalan das Momentum der zurückfedernden Waffe und verkürzte die Entfernung mit einer Drehung. Tief biss der Stahl in den Hals. Blut spritzte heraus, schwappte über die Erde, Dampf stieg auf. Der Dämon kreischte, wankte zurück, war aber noch nicht erledigt.
„Dort!“, schrie Parimar, der weiterhin auf dem Boden kauerte. Er zeigte auf eine frische Dämonenschar, die am deformierten Steingebilde vorbeiströmte.
„Mangdalan! Der Schlüssel für die Schelle!“
Nach kurzem Zögern löste Mangdalan die linke Hand vom Heft seines Schwerts, griff unter seinen Lederpanzer und warf Feywind den Schlüssel zu. „Tyon, hilf Feywind und Cassida!“, rief er, dann griff er aus und erreichte den verletzten Flugdämon, um diesen mit weiteren Hieben einzudecken.
Feywind stürzte zu Cass. Vor Aufregung traf er erst beim dritten Anlauf das Schloss.
Ein Schnappen.
Sofort schleuderte Cass das Eisen fort. Das Seufzen, das sie ausstieß, war das Seufzen eines Herzens, das seit Jahren der Knechtschaft den ersten Schlag in völliger Freiheit tat. Sie schaute auf ihre Hände, lächelte, dann wandte sie sich um. Die Dämonen stürmten auf sie zu, eine Welle aus Albträumen. Tyon erwartete sie, seine Klinge erhoben. Er wich nicht zurück, auch wenn er den Griff seines Schwerts so fest umklammerte, dass es die Sehnen auf den Handrücken herausdrückte.
„Eine Waffe“, sagte Cass beherrscht. „Ich brauche eine Waffe!“
Feywind hatte sie kämpfen erlebt, wusste, zu was sie imstande war.
„Du lässt Parimar am Leben.“
„Ja, ist gut.“ Auffordernd reckte sie ihm den rechten Arm entgegen und öffnete die Hand.
Ohne ein Für und Wider abzuwägen, legte er den Griff seines Schwerts hinein.
„Stahl lähmt meine innere Magie. Hast du nicht etwas and…“ Sie brach den Satz ab, hob die Klinge erstaunt vor die Augen – und lächelte. „Was für ein Schwert ist das?“
„Ein besonderes“, antwortete Feywind.
Cassidas Lächeln verschwand. „Kaum bin ich frei, schon muss ich das tun, was ich immer tun musste: töten.“
Sie schnellte nach vorne: Elegant zerschnitt die Klinge aus Elfenstahl dämonische Gliedmaßen und Körper. Tyon folgte ihr und erledigte angeschlagene Dämonen, die den Fehler gemacht hatten, sich Cass entgegenzustellen.
Cass selbst tanzte, wirbelte, fegte durch die Reihen der Feinde. Wie eine makabre Aureole umgaben sie Schlingen aus Dämonenblut, die ihre Schnitte nachzeichneten, ehe diese Bögen auffaserten und niederregneten. Körper fielen – zur Seite, nach hinten, nach vorne, wie gemähtes Gras. Unweit von Feywinds Stiefeln klatschte eine abgetrennte Dämonenklaue auf den Boden. Die Finger zuckten ein letztes Mal, ehe sie erschlafften.
Shnurk landete neben Feywind. „Das ist … beeindruckend. Und gruselig.“
Feywind konnte nur nicken. Kein Mensch konnte sich derart geschickt und schnell bewegen. Cassidas Erbe, das magische Erbe der Demoguren, manifestierte sich bei ihr in gesteigerter Kampfkraft und der Fähigkeit, dass ihr Körper Verletzungen selbst heilte.
Diese Macht!, dachte er. Gut, dass ich Cass aus Parimars Fängen befreit habe.
Aber: Weder war sie unbesiegbar noch unsterblich. Nachdem sie das erste Dutzend erledigt hatte, erwischte eine Klinge ihren linken Oberschenkel. Sie knickte ein, entging ihrer Enthauptung durch eine Rückwärtsrolle, federte wieder hoch und humpelte zu Tyon. Der sprang in die Bresche und deckte ihren Rückzug. Trotz der erklecklichen Zahl an toten Dämonen verschlimmerte sich die Lage: Hinter dem zweiten Dutzend tauchte abermals Verstärkung auf.
Feywind biss die Zähne zusammen. Das dornenartige Muster am rechten Handgelenk brannte dermaßen, als würde jemand die gezackten Zeichen nicht nur in die Haut, sondern in den Knochen darunter kerben.
Drei Dämonen umliefen Tyon und bedrängten Cass; zwei tötete sie.
Der dritte holte aus. Bevor er zuschlagen konnte, löste sich der Arm am Schulteransatz und fiel auf den Boden. Überrascht wandte sich der Dämon nach links, stierte auf seine abgetrennte Gliedmaße, ehe er den Kopf hob und denjenigen anblickte, der ihm das angetan hatte.
Somit stand er wie auf dem Präsentierteller.
Mangdalan köpfte ihn im Vorbeigehen mit einem wie beiläufig wirkenden, kreisenden Hieb. Ein Schlenkern des Arms befreite die Klinge vom Großteil des Dämonenbluts, das an ihr haftete. Danach tastete sein Blick über die niedergemetzelten Feinde. „Achtbares Ergebnis.“
„Danke“, sagte Cass. „Im Töten bin ich gut.“
Tyon wich zurück, da immer mehr Dämonen auf ihn eindrangen. Mangdalan und Cass sprangen ihm bei, sodass sich das Blatt im Handumdrehen wendete: Die drei pflügten vorwärts. Momentan schien die ärgste Gefahr gebannt. Dessen ungeachtet intensivierte sich der Schmerz, der vom Dämonensiegel ausging. Feywind umschloss das Handgelenk mit der Linken, was kaum Linderung verschaffte. Er atmete durch die Zähne. Wo steckte R’aal Sardash?
„Shnurk, erkunde die Umgegend.“
„Damit ich wieder von einem dieser fliegenden Biester gejagt werde?“
„Tu es einfach, verdammt!“
Die Farbe des Schrumpfdrachens wechselte von Graugrün zu Hellrot. „Schickst du deine Freunde gern in den sicheren Tod?“
Feywind blickte ihn nur an.
Grummelnd schlug Shnurk mit den Flügeln und gewann an Höhe, dann kippte er nach rechts und beschrieb einen Kreis über dem Areal. Feywind schaute sich ebenfalls um, was nicht viel nutzte, denn die verformten Felskörper versperrten die Sicht. Er bekam lediglich mit, dass Parimar sich mühsam auf die Beine stemmte und davonlief.
Feywind setzte ihm nach. Da Parimar mehr taumelte, als dass er rannte, holte er ihn rasch ein und packte ihn am Kragen seiner zerschlissenen, violetten Robe.
Parimar fiel auf die Knie. „Lass mich! Ich will nicht von diesen Abscheulichkeiten zerfetzt werden!“
„Meinst du, auf dich allein gestellt bist du besser dran?“
Entsetzt wandte Parimar den Kopf und schaute zum Gemetzel, das sich die Gefährten mit den Dämonen lieferten. „Kann gut sein!“ Er lachte schrill. „Und außerdem: Wer hat Euch erlaubt, mich zu duzen?“
„Komm mit!“
„Nein!“ Parimar wollte sich losreißen.
Feywind stellte sich vor ihn. „Elender Narr!“ Er holte aus und verpasste ihm eine kräftige Ohrfeige, obwohl nun nicht nur sein Handgelenk brannte, sondern auch die Finger.
Parimar hielt sich die Wange und blinzelte. „Dass ein Magier seinesgleichen auf diese Weise traktiert, erschüttert mich zutiefst!“
„Hör auf mit deinem blasierten Gefasel! Sieh lieber zu, dass du Mangdalan und den anderen hilfst!“
Parimar zog ein Gesicht, als hätte Feywind verlangt, er solle Dämonenblut vom Boden lecken.
„Wie steht es um deine Magie?“
„Sie … liegt brach.“
„Du hast alles in den Zauber gelegt, der uns töten sollte.“
Sein Gegenüber nickte das Nicken des Besiegten.
„Verdammt“, brummte Feywind und schaute zu Mangdalan und den anderen. Sie kämpften wie Furien. Zwar schonte Cass das linke Bein, wirklich einzuschränken schien die Verletzung sie jedoch nicht mehr. Ein Hoch auf unnatürliche Selbstheilungsfähigkeiten!
Feywind dachte an den Schwertstoß seines Vaters. Tief in die Brust war die Klinge gedrungen. Sein Körper hatte die Verwundung überlebt, mehr aber auch nicht. Von seiner Magie ganz zu schweigen. Was würde er darum geben, wieder gesund zu sein!
Zum Glück bedurfte es seines Eingreifens nicht, denn seine Gefährten hielten die Dämonen in Schach. Die fielen weiterhin wie welkes Herbstlaub, das ein Sturm von den Ästen riss – nur dass es in diesem Fall ein Klingensturm war: Auf und nieder fuhr Mangdalans Eisen, während Cassidas Schwert umherzuckte wie der Stachel einer Wespe, deswegen jedoch nicht minder tödlich zustieß. Ob man Lebensfäden brachial durchtrennte oder mit einem feinen Schnitt – das Resultat war dasselbe.
Ein breiter Schemen schob sich durch die anderen Dämonen, überragte die dunkle Brut um das Dreifache: Es war ein schauerliches Biest, der Torso überzogen von Geschwüren. Im entstellten, schwarzen Gesicht wuchsen zuckende, glitschige Tentakel. Aus dem Rücken sprossen deren größere Geschwister – peitschende, von Saugnäpfen gesäumte Fangarme, die Äxte führten.
Die anderen Dämonen stoben zur Seite, während das Biest heranpreschte – aber nicht auf Beinen: Sein Unterleib war der einer Schnecke, der sich schmatzend über den Untergrund schob, über Dämonenleichen hinweg. Im Darübergleiten zersetzte die Kreatur die toten Körper. Dabei zuckte sie ekstatisch, schien mit jedem Stück verdautes Gewebe zu wachsen, zu erstarken. Zurück blieben lediglich schleimige, geschrumpfte Klumpen. Ein paar Pusteln auf der Brust platzten und versprühten gelben Schleim.
Tyon schrie, stolperte zurück und fasste sich an den linken Arm. Dampf stieg von der Haut auf, er brach in die Knie, krümmte sich vor Schmerzen. Mangdalan rief Cass etwas zu. Sie zerschnitt die Verschnürungen seines Lederpanzers. Mangdalan warf ihr sein Schwert zu, schüttelte sich aus der dampfenden Rüstung und schleuderte sie fort.
Cass warf ihm die Klinge wieder zurück. Er packte sie im selben Moment, als eines der Tentakel heranpeitschte – und durchtrennte es.
Die Kreatur kreischte, erbebte. Dennoch pfiffen die restlichen Tentakel heran. Mangdalan parierte ein Axt, stolperte, rollte sich jedoch geistesgegenwärtig über den Rücken ab. Cass tauchte unter einem der Schwünge hindurch und entging mit einer Pirouette dem nächsten Fangarm. Dann umklammerte sie das Schwert aus Elfenstahl beidhändig, sprang ab – und hackte es mit mörderischer Gewalt nach unten.
Der Unterbauch des gigantischen Biests klaffte auf. Halb verdaute Körper spülten heraus, schwammen in einer gallertartigen Flüssigkeit. Cass schnellte zur Seite und entging der fauligen Kaskade, hüpfte, um einem Tentakel zu entgehen, und befand sich nun seitlich der Kreatur. Ein weiterer Hieb, Blut spritzte.
Cass brach den Angriff ab, taumelte plötzlich, da Dämonenblut sie getroffen hatte. An mehreren Stellen dampfte ihre Haut, löste sich ab. Sie schrie, wimmerte, stürzte auf die Knie. Das Grün ihrer Augen flackerte in den grausamen Schmerzkaskaden, die sie durchzuckten. Sie krümmte sich, stand nun auf allen Vieren, während Dampf von Kleidung und Körper aufstieg. Man hörte das Zischen ihrer Luft, die durch gefletschte Zähne entwich.
Ihr Angriff jedoch hatte den Ansturm der Dämonen zum Erliegen gebracht. Kein einziger wagte sich mehr nach vorne.
„Cass!“, rief Feywind.
Sie sah auf, ihr Gesicht bleich, links schimmerte der Wangenknochen. Doch bereits jetzt bildete sich die erste Schicht frischer Haut auf der Verletzung. „Das … war verflucht … knapp“, stammelte sie.
Gut. Sie würde überleben. Feywind atmete durch und ging zu Tyon. „Wie geht es dir?“
„Könnte schlimmer sein“, zischte der junge Krieger und nahm die Hand vom Oberarm. In Tropfenform starrte Feywind eine grelle, offene Wunde entgegen. Früher hätte ihm ein derartiger Anblick den Magen umgedreht. Inzwischen war ihm so viel Grausames begegnet, dass er ruhig blieb. „Kannst du die Finger bewegen?“
Tyon wackelte mit ihnen.
In der Wunde meinte Feywind das Zucken von Muskeln zu sehen. „Ich denke, du hast Glück im Unglück gehabt.“
„Fühlt sich anders an, aber Ihr habt wohl recht, Supremus Magister.“ Tyon erhob sich, nahm sein Schwert und stellte sich neben Mangdalan.
„Supremus Magister …“, murmelte Feywind, ehe er auf die Dämonen schaute. Das riesige Biest mit dem Schneckenleib kauerte zusammengesunken da. Weiterhin troff Flüssigkeit aus den Schnitten. Doch sie schlossen sich langsam.
„Erledigen wir diese Scheußlichkeit“, brummte Mangdalan. „Vielleicht haben die anderen dann genug und tummeln sich.“
Cass erhob sich, schwankte kurz, besudelt, geschwächt, dann stand sie aufrecht, auch wenn sie zitterte und das Schwert kaum halten konnte.
„Feywind!“
Shnurk rauschte zu ihnen herab, verlangsamte seinen Sturz, indem er die Flügel ausbreitete, und kam sicher auf. „R’aal Sardash! Er ist nah!“
Parimar schluckte. „Bei den Göttern! Das … das darf nicht sein!“
„Ich weiß, dass du ihn kennst“, sagte Feywind und entblößte sein Handgelenk. „Ich kenne ihn auch. Mehr noch: Ich trage sogar sein Siegel.“
Parimar öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder. In seinen Augen jagte ein Schatten des Entsetzens den nächsten.
Eine Bewegung, irgendwo rechts hinter einem der verschmolzenen Steinhaufen.
Feywind blinzelte, als dem Gebilde zwei schwarze Hörner wuchsen. Dann, umtost von dunklem Rauch, erhob sich der dazugehörige Kopf, ein Antlitz tiefster Schwärze. Darin loderten zwei rote Augen wie Schmelzöfen.
Das Siegel auf der Haut gleißte auf. Feywind unterdrückte einen Schrei, indem er die Kiefer zusammenpresste. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren, ihn schwindelte.
Keine Schwäche zeigen!, hämmerte er sich ein.
In seiner ganzen Gewalt und Imposanz erhob sich R’aal Sardash hinter dem Steingebilde, was sich gegen ihn ausnahm wie ein paar Steine, die Kinder angehäuft hatten, um später weiterzuspielen.
„Der Menschenwurm!“, donnerte der Dämonenfürst. „Erneut begegnen wir uns. Dieses Mal bist du mein!“
Nicht nur dem Schmerz hielt Feywind stand; auch dem finsteren, furchteinflößenden Druck der Stimme warf er alles entgegen, was er aufbringen konnte. Hier stand er nun, schutzlos und schwach wie niemals zuvor.
„Niemals!“, sagte er dennoch, obwohl sich die Angst vor dem Dämonenfürsten wie ein Netz aus Schwärze um sein Herz legte. Er durfte nicht nachgeben, musste R’aal Sardash die Stirn bieten. Es gab keine Nalda und somit kein Seelenlied, das ihn vor dem Fürsten schützen würde. Auch hockte dieser nicht in einer weit entfernten Festung, sondern war hier, unmittelbar vor Feywind. Mut war gefragt, Mut, Standhaftigkeit und geschicktes Taktieren.
Tatsächlich, einen Herzschlag lang wirkte der Dämonenfürst verdutzt. Dann lachte er laut und polternd los. Neben ihm tauchten seine Schergen auf und grunzten und röchelten und schnaubten, Geräusche, die bei Dämonen wohl Erheiterung ausdrücken sollten.
In diesem Augenblick fiel Feywind etwas auf: Risse, aus denen zähflüssige Glut schwappte, überzogen den Körper des Fürsten.
„Du kannst dich mir nicht widersetzen“, grollte R’aal Sardash.
Schmerz sengte durch Feywinds Körper. Er meinte zu fallen, der Boden wackelte und hüpfte. Schwankte er? Würde er gleich zusammenbrechen? Die Schmerzwoge rollte durch ihn hindurch – und verflüchtigte sich. Er atmete tief, aber leise durch, während ihm eine Sturzflut kalten Schweißes den Rücken hinabrann.
Die Augen des Dämonenfürsten verengten sich.
„Ich werde mich nicht beugen“, sagte Feywind. „Wenn du mich haben willst, wirst du kämpfen müssen. Aber bedenke: An meiner Seite stehen mächtige Recken, die bereits dutzende deiner Diener erschlagen haben. Zu ihnen gehören zum einen Cassida, eine Nachfahrin der Demoguren, zum anderen einer der mächtigsten Zauberwirker, den ich kenne.“ Er schaute Parimar an, der sich räusperte und den Dämonenfürsten anblickte. Sein Gesicht war so weiß wie eine Schneewechte.
„Parimar“, brummte der Dämon. „Ich erinnere mich: Dein mickriges Leben im Tausch für Shalamnurtalinak. Es war ein schlechtes Geschäft. Nichts als Ärger hat mir dieser herumflatternde Nichtsnutz eingebracht.“
„Pah!“, rief Shnurk. „Nur durch mich habt Ihr einen Pakt mit Feywind!“ Seine Kiefer schnappten zu, ehe er alarmiert zu Feywind schaute. „Das … ähm … wollte ich eigentlich gar nicht sagen.“ Er schluckte. „Tut mir leid.“
„Schon gut“, flüsterte Feywind. Lauter und an R’aal Sardash gerichtet, sagte er: „Lass uns verhandeln.“
Nun blieb nur zu hoffen, dass der Fürst überhaupt an Verhandlungen interessiert war. Zumindest wirkte er angeschlagen, denn weiterhin strömte die Glut aus den Wunden an seinem Körper. Entschied er sich hingegen dazu, seine Schergen auf sie zu hetzen – oder sogar selbst in den Kampf einzugreifen –, wäre es um sie alle geschehen. Daran würden weder Cassida, Mangdalan oder Valdor etwas ändern.
Und ich schon gar nicht, dachte Feywind betrübt.
Es ging nur darum, ob der Fürst bereit war, weitere seiner Diener in den Tod zu schicken, die ihm dann im Kampf gegen R’aal Tarduk fehlten. Als Gegenleistung bekäme er einen Magier, der nicht zaubern konnte. Ein schlechter Tausch …
Tausch …, hallte es da durch Feywinds Kopf, während er mit klopfendem Herzen auf eine Reaktion von R’aal Sardash wartete. Auch seine Gefährten rührten sich nicht, starrten nur gebannt – und von unsäglichem Schrecken erfüllt – auf den Fürsten: Auch sie wussten, ihr aller Leben hing am seidenen Faden.
Statt etwas zu sagen, wandte der Fürst den Blick nach rechts. Unergründlich wirkte seine Miene. Seine Schergen jedoch wurden unruhig. Nach einigen Momenten der Stille richtete er den Blick wieder auf Feywind. „Auf die Knie.“
Feywind stutzte. „Was?“
Der Fürst hob einen Arm, in der schwarzen, wuchtigen Faust materialisierte sich eine brennende Peitsche. Er schwang sie, das dornige Ende zuckte in den Himmel. Der Donnerschlag fuhr durch die Luft und durch die Erde. Schmerz jagte vom Siegel an Feywinds Handgelenk durch den gesamten Körper, sengende Stränge aus blendendem Weiß, die sein Innerstes nach außen pressten.
Schreiend stürzte er nieder – auf die Knie.
„Verhandeln? Pah!“, grollte der Fürst. „Komm.Zu.Mir!“
Wimmernd rutschte Feywind auf Knien in Richtung des Fürsten, konnte nichts dagegen tun.
„Gib ihn frei!“, schrie Mangdalan und grub die Hände in Feywinds Schultern, um ihn wieder nach hinten zu zerren. Feywind hörte einen knisternden Schlag. Mangdalans Hände lösten sich, dann der Laut eines Aufpralls.
Tausch …
„Entlasse mich aus dem Pakt!“, schrie Feywind, Tränen des Schmerzes in den Augen, während seine Knie über den steinigen Untergrund schrappten.
Einen Moment herrschte Stille – dann lachte R’aal Sardash noch lauter als zuvor. Erneut stimmten seine Diener mit ein. Allerdings wirkten sie immer unruhiger und blickten sich suchend um.
„Ich biete dir einen Tauschhandel!“
„Tauschhandel?“ Der Blick des Dämonenfürsten wandelte sich von Erheiterung zu Neugier, tatsächlich schien er kurz zu überlegen. „Ich will den Asbizar.“
„Du weißt genau, dass ich ihn nicht bei mir trage“, zischte Feywind, von Schmerzen gepeinigt. „Das hättest du gespürt.“
„Die Frau!“
„Au-ausgeschlossen …“
Der Rauch um R’aal Sardashs Haupt geriet in Wallung. „Wen denn dann?“
Feywind schaute zurück, suchte Cassidas Augen. Sie erwiderte den Blick, dann, im selben Maß, wie Erkenntnis ihr Gesicht erhellte, hob sich ihr Mund zu einem Lächeln, hob sich, obwohl sie weiterhin unter den Nachwirkungen des Dämonenbluts litt, das sie beinahe getötet hätte. Die Kraft aber, um Valdor Parimar nach vorne zu schubsen, die besaß sie noch.
Mit einem überraschten Schrei stolperte dieser nach vorne. „Nein!“, kreischte er. „Das dürft ihr nicht tun!“
„Was soll ich mit dem?“, grollte der Dämonenfürst.
„Er ist ein fähiger Magier“, sagte Feywind. „Sobald sich seine arkane Kraft erholt hat, wird sie dir gute Dienste leisten.“
„Nein!“, plärrte Parimar erneut und stolperte rückwärts. Da traf ein Flammenstrahl seinen Hintern. Mit einem Schrei sprang er wieder nach vorne.
Weißer Rauch kräuselte sich an Shnurks spitzen Zähnen vorbei aus seinem Maul. „Das ist eine prächtige Idee, Feywind!“
„Diesen Hasenfuß im Tausch gegen dich, Feywind, Spross eines Demoguren?“ Der Dämonenfürst schüttelte das rauchumwaberte Haupt. „Das kommt nicht infrage.“
„Meine Zauberkraft ist erloschen“, sagte Feywind. Selbst jetzt schmerzte es, dies auszusprechen, schmerzte sogar mehr als die Pein, die R’aal Sardash ihm bereitete. „Ich wäre keine Hilfe.“
Hilfesuchend warf Parimar den Blick umher. Zu ruhen kam er auf Mangdalan, der sich gerade auf die Beine raffte, nachdem der knisternde Schlag ihn niedergeworfen hatte. „Reichsverweser!“, rief er verzweifelt. „Das könnt Ihr nicht zulassen!“
Eine weitere Flammenlanze schoss aus Shnurks Maul. Aufheulend vollführte Parimar einen Satz in Richtung Dämonenfürst.
„Los, los!“, rief Shnurk und lächelte finster. „Jahre dämonischer Knechtschaft erwarten dich!“ Leiser fügte er hinzu: „Ich weiß, wovon ich spreche …“

*** Ender der Leseprobe ***

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JRezensionen:

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  • Der 3te Teil der Saga ist der bisher beste von allen Teilen. Ich kann allen Fantasy Fans diese Saga nur wärmstens empfehlen. (5/5 Sterne)
     
  • Es gibt einige Probleme innerhalb der Reisegruppe, da man sie mit Fug und Recht als Gemeinschaft der Unwilligen bezeichnen könnte. Mit Valdor Parimar hat die Gruppe jemanden, dem sie nicht im mindesten traut dabei und auch Cassida möchte Feywind nicht so dienen, wie er das gerne hätte. Insgesamt ein sehr spannender und kurzweiliger 3. Band! (5/5Sterne)
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